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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition)
Autoren: Kate Racculia
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Augenbrauen, die sich in der Mitte ihrer Stirn berührten, aber auch weil sie von Mr. Buckley verlangte, er solle ihnen etwas über japanische Internierungslager erzählen, und weil sie nach einem Löffel benannt war (was nicht stimmte). Die Bevölkerung von Ruby Falls im Allgemeinen sah sich durch sie an den Fehltritt ihrer Mutter Desdemona Jones erinnert – der gefallenen Ballkönigin, wie Mona sich selbst gern nannte, obwohl dieser Titel irreführend war – Mona hatte nämlich gar nicht bis zum Abschlussball durchgehalten.
    Mona, die Tochter von Gerald und Mary Jones, Säulen der Gemeinschaft und Inhaber einer Pension, einer veritablen Institution in Ruby Falls, war noch ein Teenager, als sie im Frühjahr 1993 von zu Hause weglief und im August desselben Jahres mit einem Baby zurückkam. Plötzlich gab es das Kind Oneida und Mona, die es auf ihrer Hüfte wiegte, sodass kein Leugnen möglich war. Sie war in ihrem zweiten Jahr auf der Ruby Falls High und ging im selben Supermarkt einkaufen, in dem alle in Ruby Falls ihre Besorgungen machten, und tat dabei so, als wäre nichts Besonderes passiert. Keiner sprach Oneida je auf ihre Mutter an, jedenfalls nicht direkt. Aber sie hatte ihr junges Leben dazu genutzt, die unbeholfenen Pausen und das Schweigen in den Gesprächen der alten Garde von Ruby Falls zu interpretieren, wozu die Freunde und Kollegen ihrer Großeltern gehörten, die die Meinung vertraten, ihre Mutter hätte mit ihrem Leben etwas Anständigeres anstellen sollen, als mit sechzehn ein Kind in die Welt zu setzen und den Lebensunterhalt mit dem Backen von Hochzeitskuchen zu bestreiten.
    Oneida hielt dies jedoch für eine völlig akzeptable Lebensweise, und Mona gab ihr außerdem nie einen Grund, dies anders zu sehen. Als sie alt genug war, Fragen nach ihrem Vater zu stellen, sagte ihre Mutter immer dasselbe: Er ist noch nicht bereit gewesen, seine Vaterrolle zu übernehmen, aber ich war bereit, Mutter zu sein, also brachte ich dich nach Hause. Ihre Großeltern waren immer freundlich und liebevoll gewesen. Sollten sie sich je in ihrer Gegenwart unwohl gefühlt haben, dann musste das in ihrer frühen Kindheit gewesen sein, denn ihre Erinnerung war geprägt von Saftpäckchen, endlosen Rommépartien und Pullovern mit Zopfmustern, in deren Taschen Karamellbonbons in knisterndem orangem Einwickelpapier steckten. Sie waren inzwischen gestorben, und jetzt führte ihre Mutter das Gästehaus weiter, das Darby-Jones, ein weitläufiges Gebäude, das 1899 von ihrem Ururgroßvater William Fitchburg Jones und seinem Geschäftspartner Daniel Darby erbaut worden war, die Eisenwaren verkauft hatten, Gerätschaften für die Landwirtschaft und für die Milchbauern, die noch immer die Steuereinnahmen von Ruby Falls erwirtschafteten.
    In ihrer Kindheit durchwanderte Oneida die alten knarrenden Flure des Darby-Jones, vor deren Bewohnern, die dieses Haus im Lauf der Jahre sah, sie sich entweder versteckte oder nach Möglichkeiten suchte, sie zu belästigen. Darunter war Alice Cooper, ein Achtzigjähriger, der jeden Tag in die Kirche ging, um für die Seele dieses »teuflischen Rockmusikers« zu beten, »der meinen guten Namen verleumdet«; Roger Beers, ein Althippie, der bei der Post arbeitete und ihr die Eingangsakkorde von »Smoke on the Water« beibrachte, und Kitty Grace, die ehemalige Hauswirtschaftslehrerin der Ruby Falls High, die John F. Kennedy verehrte und auf ihrem Schulterblatt ein kleines Tattoo seines Profils trug. Es war eine Kindheit, in der es so gut wie keine anderen Kinder gab. Erst als sie in den Kindergarten kam, begriff Oneida, dass nicht alle die Grundregeln des Mah-Jongg kannten oder wussten, was Glasnost bedeutete, und auch nicht jeder schon mal mit einem Stereoptikon gespielt hatte. Als die anderen Kinder herausgefunden hatten, dass Oneida mehr Gemeinsamkeiten mit ihren eigenen Eltern und Großeltern als mit ihnen hatte, verloren sie weitgehend das Interesse an ihr, und als Oneida dann auch noch darauf bestand, sie sollten Canasta lernen und sich über die Andrew Sisters informieren, und außerdem behauptete, die alten Folianten der Enzyklopädie im Arbeitszimmer seien tausend Mal interessanter als das Internet, weshalb sie den anderen alles darüber erzählen wolle, bekam sie endgültig den Stempel aufgedrückt, eine durchgeknallte absonderliche Spinnerin, benannt nach einem Löffel (unwahr!) zu sein.
    Aber genau auf den Tag einen Monat nach ihrem zwölften Geburtstag wurde Oneida Jones während
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