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Bienensterben: Roman (German Edition)

Bienensterben: Roman (German Edition)

Titel: Bienensterben: Roman (German Edition)
Autoren: Lisa O'Donnell
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liebenswürdig und großzügig. Ich mag diesen Mann und glaube, alles wird in Ordnung kommen, bis schließlich ein Junge mit einem Kissenbezug über dem Kopf auftaucht. Er ist voller roter Tintenkleckse, die sicher Blut darstellen sollen.
    »Was soll das denn sein?«, fragt Opa.
    »Ich bin ein Geist ohne Kopf«, antwortet der Junge.
    »So ein Unsinn«, sagt Opa und will die Tür schließen.
    »Und was ist mit meiner Schwester?«, fragt der Junge. Vor ihm steht eine kleine Fee.
    »Gut, sie bekommt was, aber dein Kostüm, das ist Dreck. Wie alt bist du eigentlich?«
    »Zehn.«
    »Zehn!«, kreischt Opa. »Dann bist du doch viel zu alt hierfür«, sagt er. »Mach, dass du wegkommst!«
    Das kleine Mädchen nimmt seinen Bruder bei der Hand, und sie drehen sich um und gehen, ohne den kandierten Apfel.
    Ich gehe in mein Zimmer und lösche das Licht.

Winter

Marnie
    Als Robert T. Macdonald uns an der Schule absetzt, sag ich zu Nelly, ich müsste dringend was erledigen. Sie bettelt mich an, ich soll dableiben, aber ich kann nicht, und weil ich mir auch nicht mehr sicher bin, ob ich ihr vertrauen kann, erzähl ich ihr lieber nichts von der Tasche.
    »Er wird toben«, erinnert sie mich.
    »Na und?«, sag ich.
    »Aber er ist unerträglich, wenn er böse auf dich ist«, sagt sie.
    »Ich nehm an, mit ›unerträglich‹ meinst du total psycho.«
    »Warum kannst du es nicht einfach versuchen?«, schreit sie.
    »Was versuchen?«, brüll ich zurück.
    »Dass das hier funktioniert. Es ist doch immerhin ein Zuhause.«
    »Er ist nicht ganz richtig im Kopf. Merkst du das denn nicht? Wir können hier nicht bleiben. Ich kann nicht.«
     »Aber ich muss. Denkst du, wir dürfen uns noch sehen, wenn du abhaust?« Sie weint. »So schlecht ist er nicht, Marnie.«
    »Oh mein Gott. Du glaubst, du kommst gut mit ihm klar, dabei erduldest du ihn doch in Wahrheit nur. Mit Gene war es genau dasselbe. Du dachtest, du könntest ihn dir vom Leib halten, indem du einfach nur du selbst bist, aber dann konntest du es doch nicht, weder du noch ich.«
    »Rede nicht von solchen Dingen.«
    »Ich rede, worüber ich will.«
    Da gibt sie mir eine Ohrfeige, ich fasse es nicht. Zuerst will ich sie zurückschlagen, aber dann mach ich’s doch nicht. Ich bin zu schockiert und verletzt. Ich bin so verletzt.
    »Du hast zu viele düstere Gedanken«, flüstert sie.
    »Schieb dir deine ›düsteren Gedanken‹ in den Arsch«, sag ich. Ich dreh mich um und will gehen, aber sie zieht mich zurück.
    »Bitte bleib in der Schule. Wenn du doch nur versuchen könntest zu tun, was er will.«
    »Das ist es ja gerade, Nelly, mir ist im Moment schleierhaft, was Robert T. Macdonald überhaupt will, und ich werde hier nicht einfach rumhängen und abwarten, bis es mir klarer wird.«
    Ich reiß mich los und lass sie weinend da stehen. Ich weine nicht, aber ich weiß, dass ich es gern würde.

Nelly
    Er folgt ihr auf Schritt und Tritt. Ich sehe es. Ich tue mein Bestes, um ihn abzulenken, doch mir geht allmählich die Musik aus. Er will sie nicht, das spüre ich, und den Gedanken an ein Leben ohne sie ertrage ich nicht. Er wird mir von ihrem siebzehnten Lebensjahr an sicher jeglichen Kontakt zu ihr verbieten. Als sie vergangene Woche die Schule schwänzte, hat sie einen Dämon entfesselt. Jetzt lässt er sie nicht mehr aus den Augen, die Lage ist trostlos. Zwei Stunden oder länger musste sie auf den Knien verharren, und sie wurden so blau. Da ich nicht wusste, wie ich ihr helfen sollte, wartete ich ab, bis er sich auf den Weg in die Stadt machte, um seinen vermaledeiten Lottoschein zu kaufen, dann ging ich direkt zu ihr ins Zimmer. Sie hörte gerade ihre scheußliche Popmusik, ihr Kopf wippte wie ein Ball auf dem Wasser. Sie sprach nicht mit mir, und ich musste irgendwie zu ihr durchdringen. Ich kannte das Lied nicht, doch es hatte so eine seltsame Art von Energie, dass ich meinen Kopf zusammen mit ihrem tanzen ließ, und ehe ich mich versah, sprangen wir auf dem Bett herum. Was für ein Spaß! Wir hielten uns an den Händen und lachten, auch wenn mir der Anblick ihrer blauen Knie in der Seele wehtat. Ich hörte ihn nicht einmal hereinkommen, und er war natürlich alles andere als erfreut.
    »Runter vom Bett«, schnauzte er uns an.
    Marnie stellte die Musik leiser.
    »Ab in dein Zimmer«, sagte er zu mir.
    Während des ganzen Abendessens war er übellaunig und konnte mich kaum ansehen. Ich fragte ihn, ob ich ihm etwas vorspielen soll, und er willigte zögerlich ein. Ich wählte ein
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