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Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)

Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)

Titel: Bezwungen von deiner Leidenschaft: Roman (German Edition)
Autoren: Liz Carlyle
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als der Sklave ihn am Arm packte. »S-Sir«, stotterte der Junge. Seine Augen waren weit aufgerissen. »Ich – ich hab nur versucht, es zu erklären – n-niemand war frech. W-wir haben kein Wort gesagt, Sir. Es war nur der Pfau. Er hat gekreischt, Sir, erinnern Sie sich?«
    Aber Odysseus hatte schon begonnen, dem Jungen das schmutzige Leinenhemd über den Kopf zu zerren, ungeachtet der Gegenwehr. Der kleinere Junge presste beide Fäuste vor den Mund, krümmte sich zusammen und begann, lautlos zu schluchzen.
    In Odysseus’ braunen Augen standen Tränen, als er das zerschlissene Hemd in den Staub des Zuckerrohrfeldes warf und die Arme des älteren Jungen nach vorn vor dessen Brust zog und sie dort festhielt. Die schmalen Schulterblätter des Jungen stachen hervor wie die Flügel eines Reihers.
    »Ihr kleinen Scheißkerle werdet jenen Tag noch bereuen.« Der Onkel zog die Peitsche durch seine Faust, als würde er es genießen. »Aye, jenen Tag, an dem ihr von diesem Schiff gekommen seid, um mir das Leben zur Hölle zu machen.«
    Der ältere Junge schaute sich zu ihm um. »Bitte, Sir«, flehte er. »Schicken Sie uns doch einfach zurück. Wir werden gehen. Das werden wir.«
    Der Onkel lachte und holte mit der Peitsche aus. Odysseus wandte sein blutendes Gesicht ab.
    Als die Schläge begannen, gnadenlos und gleichmäßig, presste der kleinere Junge ganz fest die Augen zusammen. Er hörte nicht die Schreie seines Bruders. Das Knarzen des Leders. Und während er das alles aus seiner Wahrnehmung ausblendete, brannte die Sonne vom Himmel, erhob sich ein leichter Wind, und die reichen Leute in ihren Plantagenhäusern genossen ihre Ventilatoren und schickten ihre Sklaven nach mehr Limonade. Auf diesen Inseln war Gott zu Hause, und alles war so, wie es sein sollte.
    Als der kleinere Junge die Augen wieder öffnete, hatte Odysseus sich seinen Bruder vorsichtig über eine Schulter gelegt und war auf dem Weg zum Haus. Der Staub des Zuckerrohrfeldes wirbelte um seine schwarzen Füße. Der kleinere Junge warf einen letzten Blick auf den Onkel.
    Die Augen glasig vom Alkohol und vor Befriedigung, zog der Onkel seinen Flachmann aus dem Gehrock, prostete dem Jungen damit zu und blinzelte ihn an. »Aye, das nächste Mal bist du dran, du kleine Rotznase«, versprach er. »Das nächste Mal wird Odysseus dich vom Feld tragen.«
    Der kleinere Junge drehte sich um und rannte.

Kapitel 1
    In welchem Rothewell dem Gevatter Tod begegnet
    D er Oktober ist ein abscheulicher Monat, dachte Baron Rothewell, als er aus dem Fenster seiner Kutsche starrte, an dem die Regentropfen herunterliefen. John Keats war entweder ein poetischer Lügner oder ein romantischer Narr gewesen. Im trüben Marylebone war der Herbst nicht die Zeit des sanften Nebels und der reichen Ernte. Es war vielmehr die Zeit des Trübsinns und des Verfalls. Kahle Bäume säumten die Plätze, und das Laub, das farbenfroh herumwirbeln sollte, lag stattdessen auf den Straßen und türmte sich in nassen braunen Haufen an den schmiedeeisernen Zäunen. London – wie wenig davon je lebendig gewesen war – war im Sterben begriffen.
    Während seine Kutsche unermüdlich durch Pfützen und Schlimmeres rollte, zog Rothewell am Stumpen einer Zigarre und starrte fast blicklos auf die Bürgersteige, die an ihm vorbeizogen. Zu dieser Tageszeit waren sie leer – bis auf einen Angestellten oder Dienstboten, der hin und wieder mit einem schwarzen Regenschirm vorbeihastete. Der Baron sah niemanden, den er kannte. Aber schließlich kannte er in dieser Stadt auch so gut wie niemanden.
    An der Ecke Cavendish Square und Harley Street klopfte er mit dem goldenen Knauf seines Spazierstockes an das Dach seiner Reisekutsche, um dem Kutscher anzuzeigen, dass er anhalten sollte. Die beiden Lakaien, die hinten auf der Kutsche postiert waren, sprangen herbei, um die Treppe herauszuklappen. Rothewell war dafür berüchtigt, sehr ungeduldig zu sein.
    Er stieg aus, und die Falten seines dunklen Umhangs umwehten ihn elegant, als er sich zu seinem Kutscher umwandte. »Fahren Sie zum Berkeley Square zurück.« Im Nieselregen klang sein Befehl fast wie das tiefe Grummeln eines Donners. »Ich werde zu Fuß nach Hause gehen, wenn meine Angelegenheiten hier erledigt sind.«
    Niemand hielt sich damit auf, ihm davon abzuraten, im Nieselregen herumzulaufen. Und schon gar nicht wagte jemand zu fragen, was den Baron den weiten Weg vom Hafenviertel hierher hatte unternehmen lassen, in die weniger vertrauten Straßen von
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