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Bernie allein unterwegs

Bernie allein unterwegs

Titel: Bernie allein unterwegs
Autoren: Sabine Thiesler
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verdammt schnell, und immer wenn er einen Haken schlug, wollte ich genauso die Richtung wechseln und kam ins Schleudern. Ich wurde immer wütender und hatte Lust, dem eingebildeten Hasen in die Ohren zu beißen. So wie er immer nach rechts und nach links vor mir hersprang, hatte ich das Gefühl, dass er sich über mich lustig machte.
    Und plötzlich war er weg! Wie vom Erdboden verschwunden. Ich guckte nach oben, weil ich mir nicht sicher war, ob ein Hase nicht genauso auf Bäume klettern konnte wie eine Katze, aber da war er nicht. Vielleicht war er in einem Loch verschwunden. Ich schnüffelte den ganzen Waldboden ab, aber ich fand ihn nicht. Und allmählich wollte ich dem Hasen nicht nur in die Ohren beißen, sondern ihn ganz auffressen, so schrecklichen Hunger hatte ich. Richtige Bauchschmerzen vor Hunger, und davon wurde ich wach.
    Ich sah mich um. Weit und breit war kein Hase in Sicht.
    Mühsam rappelte ich mich hoch. Dass Hunger so verflucht wehtun konnte! Es hatte alles keinen Zweck, ich musste schleunigst
wieder dorthin, wo Menschen waren. Vielleicht konnte ich in einer Mülltonne etwas Fressbares finden, obwohl es mich ein kleines bisschen ekelte. Frau Küster hatte immer, wenn sie eine Mülltüte über den Hof zur Mülltonne brachte, »Pfui Teufel! « gesagt.
    Während ich weiterlief, dachte ich über meine schwierige Situation nach. Es stimmte ja gar nicht, dass ich keine Familie mehr hatte. Ich konnte zwar nicht zurück zu meiner Mutter, aber irgendwo wohnten meine Geschwister, und in Bayern lebte mein Vater Hugo vom Walde.
    Ich würde zu ihm laufen. Ja genau, das würde ich tun! Auch wenn es weit war, ich würde es schon schaffen. Mein Vater lebte auf einem großen Bauernhof, wo er sicher eine ganz wichtige Aufgabe hatte. Jeder Bernhardiner hatte eine Aufgabe, und mein Vater war groß und stark. Das hatte Frau Küster immer betont. Vielleicht konnte ich ihm bei seiner Arbeit helfen. Und vielleicht konnte ich sogar eines Tages in seine Pfotenstapfen treten, wenn er zu alt war.
    Ich lief schneller, immer schneller, und war richtig fröhlich dabei, denn jetzt hatte ich endlich ein Ziel!

DAS MEER
    Ich schaffte es nicht, so lange zu laufen, wie ich eigentlich wollte. Immer wieder musste ich mich hinsetzen und verschnaufen, und dabei schlief ich regelmäßig ein. Das kann doch nicht normal sein, dachte ich und machte mir schon Sorgen, aber dann fiel mir ein, dass Frau Küsters Freundin einmal gefragt hatte: »Wie schaffst du das bloß? Rund um die Uhr die ganze Arbeit mit so vielen Hunden.«
    Und Frau Küster hatte geantwortet: »Ach was! Alles halb so wild. Kleine Hunde schlafen sich groß. Die sind ja grade mal drei bis vier Stunden am Tag wach.«
    Mir war das früher gar nicht so aufgefallen, dass wir ständig auf einem großen Haufen alle übereinanderlagen und leise schnarchten. Das war so warm und kuschelig gewesen und nicht so trostlos und kühl wie jetzt ohne Mama, ohne Geschwister und ohne gemütliches Stroh.
    Ich lag am Rande eines kleinen Grabens neben einer Weide mit riesigen Kühen, die furchterregend aussahen, aber Hundegott sei Dank gar keine Notiz von mir nahmen, und merkte, dass es windiger wurde. Es war, als wenn mir der Wind zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus blies, obwohl
ich doch Schlappohren hatte, wie ein dicker Vorhang vor einer offenen Tür – aber selbst die nutzten jetzt nichts mehr. Ich musste weiter.
    In der Ferne sah ich einen Hügel. Vielleicht waren dahinter ja Menschenhäuser, wo ich mir etwas zu fressen suchen konnte.
    Ich rannte hinauf und blieb vor Schreck so plötzlich stehen, dass ich fast vornüberfiel. Da waren nämlich keine Häuser, sondern nur Wasser! So weit ich gucken konnte Wasser ohne Ende! Das musste das Meer sein, von dem Paule so oft gesprochen hatte! Es glitzerte in der Abendsonne und sah aus, als hätte irgendjemand bis zum Horizont Diamanten ausgeschüttet. Umwerfend schön! Natürlich warf es mich nicht wirklich um, aber ich stand da wie erstarrt. Paule hatte zwar oft davon geredet und manchmal gesagt: »Ich fahr ans Wasser, Elfriede. Muss mal über den Deich spazieren und mir ’ne steife Brise um die Nase wehen lassen, damit ich den Kopf wieder frei kriege …«, aber ich hatte das Meer ja noch nie gesehen, und – ehrlich gesagt – so groß hatte ich es mir nicht vorgestellt.
    Ich hielt die Nase in den Wind. Vielleicht pustete er mir ja das Heimweh aus dem Kopf, vielleicht hatte Paule ja so etwas in der Art gemeint.
    Einige Minuten
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