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Bernie allein unterwegs

Bernie allein unterwegs

Titel: Bernie allein unterwegs
Autoren: Sabine Thiesler
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mitkam. Ich musste die ganze Zeit rennen. Ich sah immer wieder zu ihm hoch, aber er sah mich gar nicht an. Blickte stur geradeaus und hatte die Lippen ganz fest aufeinandergepresst. So kannte ich ihn gar nicht. Wenn er zu uns in den Zwinger gekommen war, uns auf den Arm nahm oder hinter den Ohren kraulte, hatte er immer gelächelt.
    Direkt hinter der Hinkelsteinstraße bogen wir rechts in ein kleines Tannenwäldchen ab. Paule ging jetzt langsamer, wahrscheinlich weil er hier Elfriede nicht mehr begegnen konnte. Er hatte ja keinen blassen Schimmer davon, dass ich ganz genau Bescheid wusste.
    Wir gingen noch ungefähr eine Viertelstunde schweigend nebeneinander her, dann blieb Paule stehen.
    »So«, sagte er mehr zu sich als zu mir. »Das müsste reichen.«
    Er machte mich von der Leine los und nahm mir das Halsband ab. Dann streichelte er mich.
    »Mach’s gut, mein Hase«, sagte er.
    Ich wusste, dass er es lieb meinte, aber ich fand es schon komisch, dass er jetzt auch noch Hase zu mir sagte.

    »Jetzt musst du es allein schaffen, Bernie. Ich wünsche dir von Herzen, dass du einen netten Menschen findest.«
    Ich bellte leise, war mir aber nicht sicher, ob er wusste, dass ich ihn verstanden hatte.
    Dann schüttete er noch ein kleines Häufchen Trockenfutter, das er in den Hosentaschen gehabt hatte, auf den Waldboden und küsste mich auf den Kopf.
    »Du bist ein feiner Kerl.«
    Er hatte ganz feuchte Augen, und jetzt musste auch ich weinen.
    »Pass auf dich auf, Triefauge!« Er bemühte sich zu lächeln. »Bleib jetzt hier, ja? Lauf mir nicht nach!«

    Er strich mir noch einmal übers Fell, dann drehte er sich um und ging den Weg zurück.
    Ich blieb ganz brav sitzen und sah ihm nach.
    Danke, Paule! Du hast mir das Leben gerettet. Das werde ich dir nie vergessen! Vielleicht würde es mir ja gelingen, als erwachsener Hund noch einmal vorbeizukommen, damit Paule sah, dass es mir gut ging und dass mir nichts passiert war. Ich würde ihm die Hände und das ganze Gesicht ablecken, und Frau Küster würde ich in ihren Hintern beißen.

    Der Gedanke amüsierte mich, aber dann wurde ich sofort wieder traurig. Ich war jetzt ganz allein auf der Welt. Hatte keine Mama, keine Geschwister und keinen Paule mehr, der auf mich aufpasste und mir Futter brachte. Und mein Vater lebte in Bayern. Das war verdammt weit weg, das wusste ich, weil Frau Küster einmal zu Paule gesagt hatte: »Noch mal machen wir mit der Hündin die ewige Fahrt zu Hugo vom Walde nicht. Das ist ja Wahnsinn! Ich werde mal im Internet gucken, ob es nicht auch hier in der Nähe einen Rüden gibt, zu dem wir Emilia [also meine Mutter] bringen können.«
    Ob meine Mutter den Rüden leiden konnte, von dem sie kleine Hundewelpen kriegen sollte, interessierte Frau Küster nicht.
    Ich war völlig ratlos, fraß erst mal das Trockenfutter auf und trabte dann los. Immer geradeaus. Weg von dem Ort, wo ich geboren worden war.

DAS ZIEL
    Mama!
    Ich hatte solch eine Sehnsucht nach meiner Mutter, dass ich kaum laufen konnte. Ob sie Angst um mich hatte? Ob sie mich vermisste? Dachte sie an mich und machte sich so viele Sorgen, dass sie nicht schlafen konnte?
    Als Bodo und Benno abgeholt wurden, hatte sie nur gemurmelt: »Das Rote Kreuz ist ein ehrwürdiger Verein. Sie werden es gut haben.« Also machte sie sich keine Gedanken. Aber um mich konnte man sich schon Sorgen machen.
    Es wäre so schön gewesen, wenn ich bei Mama hätte bleiben können. Aber das wollte Frau Küster nicht. Eher hätte sie mich umgebracht. Frau Küster ging einmal in der Woche zum Friseur, sie hatte ein Auto und ein großes Haus mit Bernhardinerporzellanfiguren. Die waren sicher ein Vermögen wert! Aber mich wollte sie wegen der paar Krümel Trockenfutter, die ich am Tag fraß, umbringen.
    Es war zum Heulen. Mama!, schrie ich in Gedanken und wäre am liebsten umgekehrt und wieder zurück nach Hause gelaufen. Ich konnte es einfach nicht ohne sie aushalten. Sie war die tollste Mutter der Welt. Immer ganz ruhig, nie schlecht
gelaunt. Oft hatte ich gedacht, alles was geschah, wäre ihr gleichgültig – aber das stimmte nicht. Sie beobachtete stumm und sagte uns dann, was wir machen sollten.
    Mama!
    Ich setzte mich unter einen Baum und weinte ein bisschen. Es war ein schreckliches Gefühl, wenn man kein Zuhause und keine Familie mehr hatte.
    Irgendwie musste ich eingeschlafen sein, denn ich träumte von einem großen, hohen, dunklen Tannenwald. Ich hatte einen Hasen aufgestöbert und verfolgte ihn. Der Hase war
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