Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
vertraut waren.
    Ich machte einen Erkundungsmarsch durch den Raum. « Wenn ich in fünf Minuten nicht zurück bin, schicken Sie einen Suchtrupp los.»
    Schemm seufzte und setzte sich auf eines der bei den Ledersofas, die rechtwinklig zum Kamin angeordnet waren. Er nahm eine Zeitschrift aus dem Ständer und tat so, als lese er. « Kriegen Sie in diesen kleinen Hütten nicht auch Platzangst?» Schemm seufzte gereizt wie eine altjüngferliche Tante, die im Atem des Pfarrers den Geruch von Gin schnuppert.
    « Setzen Sie sich, Gunther», sagte er. Ich nahm keine Notiz von seiner Bemerkung. Ich befingerte die zwei Hunderter in meiner Hosentasche, und das half mir, wach zu bleiben. Ich schlenderte zum Schreibtisch hinüber und warf einen Blick auf seine grüne Lederplatte. Eine Nummer des Berli ner Tagblatts, die aussah wie sorgfältig gelesen; eine Lesebrille; ein Füllfederhalter; ein schwerer Messingaschenbecher mit dem Stumpen einer zerkauten Zigarre und daneben das Kästchen mit schwarzen Havannas, dem sie entnommen war; ein Stapel Briefe und ein paar Fotos in silbernen Rahmen. Ich warf einen Blick auf Schemm, der mit seiner Zeitschrift und seinen Augenlidern seine liebe Not hatte, und nahm dann eines der Fotos in die Hand. Sie war dunkel und hübsch, mit einer üppigen Figur, genau so, wie ich sie an Frauen liebe, wenngleich ich mir an den Fingern abzählen konnte, daß sie mein Geplauder nach Tisch kaum unwiderstehlich finden würde: Das verriet mir der Doktorhut, den sie trug.
    « Sie ist schön, meinen Sie nicht auch?» sagte eine Stimme, die von der Tür kam und Schemm veranlaßte, vom Sofa aufzuspringen. Es war eine monotone Stimme mit einem leichten Berliner Akzent. Während Schemrn sich eilfertig verbeugte, murmelte ich etwas Schmeichelhaftes über das Mädchen auf dem Foto.
    « Herr Six», sagte Schemm unterwürfiger als eine Haremsdame, « darf ich Ihnen Bernhard Gunther vorstellen.» Er wandte sich mir zu und sagte mit einer Stimme, die zu meinem bedrückenden Kontostand paßte: « Dies ist Doktor Hermann Six.»
    Ist doch komisch, dachte ich, in diesen gehobenen Kreisen hat jeder einen verdammten Doktortitel. Ich schüttelte ihm die Hand. Mein neuer Klient hielt sie unangenehm lange fest, während er mir ins Gesicht blickte. Das machen viele Klienten: Sie glauben von sich, den Charakter eines Mannes beurteilen zu können, denn schließlich wollen sie ihre peinlichen kleinen Probleme nicht einem Mann anvertrauen, der verschlagen und unehrlich aussieht. Es ist mein Glück, daß ich wie jemand aussehe, der aufrecht und verläßlich ist. Übrigens, die Augen meines neuen Klienten waren blau, groß und vorstehend und wiesen eine Art wäßriger Helligkeit auf, als sei er gerade aus einer Senfgaswolke gekommen. Ich zuckte ein wenig zusammen, als mir dämmerte, daß der Mann geweint hatte.
    Six ließ meine Hand los und griff nach dem Foto, das ich gerade betrachtet hatte. Er starrte es ein paar Sekunden an, dann stieß er einen tiefen Seufzer aus.
    «Sie war meine Tochter», sagte er mit gepreßter Stimme.
    Ich nickte geduldig. Er legte das Foto mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch und strich sich das graue, nach Art einer Tonsur geschnittene Haar aus der Stirn. «Sie war es, denn sie ist tot.»
    «Das tut mir leid », sagte ich würdevoll.
    «Das sollte es nicht», erwiderte er, «denn wenn sie noch am Leben wäre, stünden Sie nicht hier und hätten nicht die Chance, eine Menge Geld zu verdienen.» Ich spitzte die Ohren: Er sprach meine Sprache. «Sie wurde ermordet, wissen Sie.» Um des dramatischen Effekts willen machte er eine Pause: Klienten gefallen sich oft darin, doch ihm gelang er gut. «Ermordet», wiederholte ich dumpf.
    «Ermordet.» Er zupfte an einem seiner flappigen, riesenhaften Ohren, bevor er die knotigen Hände in die Taschen seines sackartigen, marineblauen Anzugs schob. Mir stach sofort ins Auge, daß die Manschetten seines Hemdes ausgefranst und schmutzig waren. Ich war noch nie einem Stahlmagnaten begegnet (ich hatte von Hermann Six gehört; er war einer der wichtigsten Ruhrindustriellen), aber das kam mir doch höchst sonderbar vor. Als er mit den Füßen wippte, warf ich einen Blick auf seine Schuhe. Die Schuhe der Klienten können einem eine Menge verraten. Das ist das einzige, was ich von Sherlock Holmes gelernt habe. Six' Schuhe waren reif für das Winterhilfswerk. Andererseits sind Schuhe in Deutschland heutzutage von schlechter Qualität. Das Ersatzleder ist wie Pappe; genauso
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher