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Berndorf, Jacques (Hrsg)

Berndorf, Jacques (Hrsg)

Titel: Berndorf, Jacques (Hrsg)
Autoren: Tatort Eifel 2
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das fragte, sah er für den Bruchteil einer Sekunde die Mutter des Mädchens an, und er sah, wie sie zusammenzuckte, als habe sie jemand geohrfeigt.
    Es gab keine Unsicherheit bei dem Mädchen. Die Frage war klar, also war auch die Antwort klar. Das Mädchen sagte: »Ja. Er stand an meinem Bett und wankte so. Er wankt immer, wenn er trinkt. Es war fünf, oder fünf nach fünf. Ich sagte: ›Ich bin so müde.‹ «
    »Da war diese Scharren aber schon weg, oder?«
    »Ja, klar, die war schon weg.«
    »Aber sie kam wieder, oder?«
    »Ja, klar, hinterher stand sie plötzlich in der Tür.«
    »Du und deine Mutter, ihr wart in der Melkkammer. Der Vater war tot, lag auf den Fliesen, die Scharren stand plötzlich in der Tür. War sie eigentlich noch sehr betrunken?«
    »Ja, ich glaube, die war sehr betrunken. Sie stand in der Tür, und sie konnte gar nicht richtig sprechen. Sie lallte irgendwie, sie fragte: Habt ihr noch ein Bier?«
    »Kind!«, sagte die Mutter sehr sanft und eindringlich und schloss dabei die Augen. Ihr Gesicht war kalkweiß.
    Kischkewitz spürte nicht einmal den Hauch von Triumph. Kischkewitz versank ganz einfach in einem Meer von Melancholie. Er war zutiefst traurig.
    »Er hat sie ... er hat sie aber ...« Die Mutter neigte den Kopf nach vorn und begann ohne einen Laut zu weinen.
    »Mami!«, sagte Esther ganz erschreckt.
    Kischkewitz wartete sehr lange, weil das Mädchen vor der Mutter kniete, sie umarmte und mit ihr weinte.
    Er sagte leise: »Also, die Scharren ging erst vom Hof. Vor fünf Uhr in der Frühe. Dann warst erst du allein in der Melkkammer, weil dein Vater etwas mit dir machen wollte. Dann kam deine Mami. War das so?«
    »Ja, so war das. Ich meine, ich ...« Dann begriff sie, dass dieser freundliche Mann jetzt etwas wusste, was er nicht wissen durfte. Und sie war verunsichert und drehte ihren Kopf von der Mutter weg.
    »Und dann stand die Scharren wieder in der Tür, nicht wahr? Und sie sah deinen toten Vater.«
    »Ja«, nickte das Mädchen und ließ die Mutter nicht los. »Sie stand da plötzlich in der Tür.«
    »Er hat sie ... er hat Esther missbraucht«, die Stimme der Mutter war rau. »Er war so schlimm.«
    »Das glaube ich Ihnen aufs Wort«, nickte Kischkewitz. »Trotzdem sagen unsere Gesetze, dass wir nicht töten sollen.«
    »Mein Gott, er hat Esther sogar bezahlt. Er hat gesagt, es wäre gutes Geld.« Sie hatte keine Stimme mehr, jedes Wort quälte sie.
    »Das glaube ich Ihnen auch. Kennen Sie einen guten Anwalt, einen guten Strafrechtler?« Er wedelte mit den Händen. Er wollte raus aus diesem verdammten Wohnzimmer. »Machen wir es so: Ich gebe Ihnen den Namen des Mannes, und Sie rufen ihn an, ja? Machen wir es so. Sie brauchen ihn. Sie brauchen ihn dringend.«

Vom Winde verdreht
    von C AROLA C LASEN
    Meinen Sie, es wäre schön, ein Windrad zu sein?
    Das ist es nicht. Ich weiß, wovon ich rede. Ich heiße Louise und stehe seit einigen Jahren in der Eifel herum. Ich bin nicht mehr die Jüngste, und mir ist oft übel von der ständigen Dreherei. Das geht in die Arme, kann ich Ihnen sagen. Sie sind schon ganz steif davon. Manchmal habe ich das Gefühl, sie fallen mir ab. Auch wenn unsereins drei Stück hat und man annehmen könnte, die Arbeit verteile sich so besser, ist es kein Spaß. Ich stehe 572 Meter über dem Meeresspiegel, meine Nabenhöhe beträgt 65 Meter, meine Arme sind zehn Meter lang, wissen Sie, was hier oben für ein Wind weht?
    Ich werde Ihnen jetzt von meinem Leben erzählen. Es muss raus, sonst ersticke ich noch daran. Es mit meinen Freundinnen zu besprechen, erscheint mir sinnlos, es sind viele Depressive darunter. Viele drehen sich einfach nur noch nach dem Wind und haben längst aufgegeben. Ich glaube, manche trinken auch. Die Selbstmordrate unter Windrädern ist hoch.
    Aber ich bin anders. In mir ist noch Hoffnung. Ich will Veränderung. Ich gebe nicht auf. Obwohl man es mir wirklich schwer macht.
    Abgesehen von der ständigen Dreherei ist es stinklangweilig hier oben. Immer dasselbe, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Ob Winter, ob Sommer. Ob Regen, ob Schnee. Mal weht der Wind aus Osten, mal aus Westen, das ist es dann aber auch schon. Gegen einen feinen Südwind wäre ja nichts einzuwenden, aber wann gibt es den hier schon mal?
    Und immer dieselbe Aussicht. Sie ist nicht schlecht, aber man sieht sich satt. Bei lebendigem Leibe fest gemauert auf einen Platz, für immer und ewig. Ich weiß nicht, ob Sie das schön finden würden. Wir tun es nicht. Man wird
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