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Berlin Gothic: Thriller

Berlin Gothic: Thriller

Titel: Berlin Gothic: Thriller
Autoren: Jonas Winner
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das nichts mehr?“, hatte Till nachgefragt - und am Klang seiner eigenen Stimme schon gemerkt, wie sehr er seinem Bruder mit der Fragerei doch auf die Nerven gehen musste.
    „Weiß nicht“, hatte Armin geantwortet.
    Till hatte sich neben ihn auf das Bett gelegt und auch an die Decke gestarrt. „Ist irgendwas Armi“, hatte er gefragt, „bist du traurig?“
    Armin hatte ihm nicht geantwortet. Till hatte den Kopf auf die Seite gelegt, ihn angeschaut - und gesehen, dass das Gesicht seines Bruders ganz bleich geworden war. Armin hatte Till einen Blick zugeworfen, als hätte er ihm etwas sagen wollen - aber dann doch nur den Kopf geschüttelt und wieder an die Decke geschaut.
    Mehr Zeit hatten sie an dem Abend dann nicht mehr gehabt. Dirk war aufgetaucht und hatte geschimpft, weil Till schon längst wieder nach unten gemusst hätte, die Schlafenszeit hatte begonnen. Till hatte sich zwar noch ein bisschen gesträubt - aber dann war Dirk laut geworden und Armin hatte gesagt, dass es wohl doch besser wäre, wenn Till jetzt wirklich ginge. Also war ihm nichts anderes übrig geblieben - er war aufgestanden und nach unten marschiert, in sein eigenes Zimmer.
    Ohne auch nur im Geringsten zu ahnen, dass er nie wieder mit seinem Bruder reden würde.
     


     
    Tills Blick huschte über die Tische, die vor dem Lokal im Freien standen. Alle unbesetzt. Er kniff die Augen zusammen, um durch die Scheiben ins Innere des Restaurants zu spähen. Schemenhaft konnte er die Tische und Stühle erkennen, die darin aufgestellt waren. Aber es war niemand zu sehen. Er wandte den Blick zurück zu dem Teller. Die rot getränkten Nudeln erhoben sich mindestens noch drei Zentimeter hoch über den Rand. Sie dampften sogar noch!
    Die Nacht hatte Till im Wald verbracht. Am Morgen war er in einem Laubhaufen erwacht. Verfroren, verängstigt, ausgehungert. Er war mit der S-Bahn hierher gefahren, zum Alexanderplatz, von dem er wusste, dass Kinder ohne zuhause sich manchmal hier trafen. Bisher aber hatte er kein Kind gesehen, das so aussah, als würde es nicht ganz genau wissen, wo es hingehören würde. Alles, was er sah, war der Teller, der auf dem Tisch vor dem Lokal stand. Der ganze riesige Platz um Till herum schien sich auf diesen Teller hin zusammenzuziehen. Der Kellner, der eben noch davor gesessen und von den Nudeln gegessen hatte, war gerade von seinen Kollegen ins Lokal gerufen worden - und hatte die Portion einfach stehen gelassen. Herrenlos. Heiß. Und saftig!
    Wie von einer unsichtbaren Kraft angetrieben, setzte sich Till in Bewegung, den Kopf stur nach links gedreht, als würde er es auf ganz etwas anderes am Ende des Platzes abgesehen haben. Sollte er sich hinsetzen und die Nudeln rasch runterschlingen? Aber das kam eigentlich nicht in Frage. Wenn der Kellner ihn sah, würde er bestimmt nicht ruhig abwarten, bis Till aufgegessen hatte, um daraufhin eilfertig das leere Geschirr abzuräumen!
    Ein letzter Schritt - dann hatte Till den Tisch erreicht. Niemand achtete auf ihn. Er griff nach dem Teller - drehte sich um - und marschierte mit seiner Beute fest in der Hand zurück auf den Platz.
    S-Bahn-Züge ratterten in den Bahnhof, Passanten eilten ihren Geschäften nach, die Sonne strahlte am tiefblauen Himmel über der Stadt.
    Da platzte etwas an seinem Hinterkopf. Unwillkürlich zog Till den Kopf zwischen die Schultern. Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein!
    Er spürte, wie ihn ein zweiter Schlag traf, ein wenig fester noch als der erste - ein Schlag, der seinen Kopf zur Seite schlenkern ließ und ihn so wütend machte, dass er herumfuhr. Vor ihm spannte sich die schwarze Weste des Kellners.
    Es blieb keine Zeit nachzudenken. Nudeln zuerst drückte Till dem Mann den Teller auf den Bauch. Er sah noch, wie die Spaghetti Würmern gleich am Tellerrand hervorquollen - dann war er bereits herumgewirbelt und rannte - die Schritte, die Rufe des Verfolgers im Rücken.
    Till spürte kaum, dass seine Füße den Boden berührten, fast war es, als würde er durch die Luft schwimmen. Da war kein Herz, das schwerfällig in seinem Brustkasten wumperte, keine Lunge, die sich klein und zusammengepresst anfühlte, keine Beine, die schwer von ihm herabhingen oder Füße, die abgerollt werden mussten. Da war nur ein Wille, eine Kraft, ein Vorwärtsstreben - ein Fliegen und Schweben, fast zärtlich unterbrochen von den Zehenspitzen, die immer wieder den Boden touchierten und ihn mit der enormen Kraft ihres Rückstoßes ein weiteres Mal fünf, zehn,
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