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Berlin Gothic: Thriller

Berlin Gothic: Thriller

Titel: Berlin Gothic: Thriller
Autoren: Jonas Winner
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jetzt einem Tänzer im Blutrausch. Er setzt dem Russen nach, seine Schläge treffen Hals, Ohren, Mund und Nacken. Claire sieht den Arm des Ringrichters, der sich zwischen die beiden schiebt, aber Frederik ist nicht zu bremsen. Er scheint mit dem Russen verwachsen zu sein, fährt seine Rechte wie einen Dampfkolben immer wieder dem anderen in die Seite.
    Claire zieht die Kamera vor ihr Auge. Durch das Objektiv hindurch wirkt die Szene wie schockgefroren. Ein harter, schwarz-weißer Kontrast, die Ansicht von unten. Das weiße Oberhemd des Ringrichters, der sich jetzt an Frederiks Schulter hängt. Lubajew taumelt zurück. In der gegenüberliegenden Ecke steigen sie über die Seile. Dann fällt er. Claire sieht den Körper des Russen auf den Boden aufschlagen, emporfedern, er hebt den Arm. Über ihm steht Frederik, gebückt wie ein Tiger, die Rechte zum Schlag angespannt. Der Kopf des Russen rollt herum. Claire drückt ab. Die Augen Lubajews zugeschwollen. Unterhalb seines Ohrs ist das Fleisch aufgeplatzt. Sie riecht den Kupfergeruch, der von ihm aufsteigt.
    Frederik wippt zurück - die Arme oben. Drei Männer haben ihn erreicht. Das Gesicht des Ringrichters ist zu einer Miene der Empörung verzogen, sein Mund bewegt sich unaufhörlich.
    Claire sieht zu Frederik. Er tanzt. Die Fäuste in den Handschuhen klatschen hoch über seinem Kopf den Rhythmus, mit dem die Zuschauer in der Halle seinen Namen skandieren. Jetzt hält es niemanden mehr auf den Sitzen. Claire spürt, wie sie nach vorne geschoben wird, während die Leute zum Ring drängen. Jemand stößt gegen den Arm, mit dem sie die Leica gerade auslöst. Vor ihr drängen sich Köpfe, der Geruch der verschwitzen Leiber beißt in ihrer Nase.
    Sie lässt die Kamera in den Halsriemen fallen. Dann hat sie das unterste der vier Seile gepackt. Ihr Turnschuh findet Halt auf einem der jetzt leeren Stühle. Sie stößt sich ab. Duckt sich. Steht im Ring.
    Frederik hat die Arme um die Männer gelegt, die ihn nach oben zu drücken versuchen. Sein Kopf schwenkt herum. Sein Auge blitzt. Sie lacht. Sein Kinn tippt nach oben. Claire drückt sich an den Seilen entlang, umkreist die Gruppe, die sich in der Mitte des Rings dem Beifall des Publikums stellt. Niemand achtet auf sie, hält sie auf, fragt nach. Der Film in der Leica ist voll, sie nimmt die Digitalkamera vor. Dann steht sie nur noch zwei Schritte von ihm entfernt. Es ist die Aufnahme, die sie später für den Umschlag ihres Berlin-Buchs verwenden wird. Frederiks Gesicht angeschnitten, der nackte Oberkörper vor dem Betrachter aufragend wie die Brust eines aufsteigenden Pferdes. Sein Mund ein wenig geöffnet, zu einem berauschten Triumph verzerrt, schräg über seinem Kopf die Hände, die in den Boxhandschuhen stecken. Und geradewegs auf den Betrachter gerichtet: Sein Auge, das in dem halb angeschnittenen Gesicht leuchtet.
     
    „Alle raus! Kommt schon, Leute. Nur ein paar Minuten. Sie will es so. Kommt schon.“ Seine Stimme vibriert in dem flachen Betonraum. Er trägt den Meisterschaftsgürtel, ein Sportarzt hat die Platzwunden oberflächlich abgetupft. Der Sieg, die Wucht, mit der Lubajew unter seinen Schlägen zu Boden gegangen ist, scheinen Frederik noch immer in den Gliedern zu stecken.
    Er lacht ihr zu. „Okay.“
    Okay, denkt Claire.
    Sie weiß nicht, wer die Männer sind, die sich um ihn herum drängen. Die Trainer, Freunde, Brüder, Manager, deren lautes Durcheinanderschwatzen den niedrigen Raum ausfüllt. Sie sieht, wie sie den Kopf neigen, wenn Frederiks Pranke ihnen über den Scheitel wischt, wie sie seinen Blick suchen, ihn respektvoll behandeln.
    „Raus jetzt!“, ruft er und lacht.
    Der letzte, ein schmächtiger, beinahe verhutzelter alter Mann schlurft aus der Kabine.
    Dann dreht sich Frederik zu ihr um.
    „Sicher, dass das eine gute Idee ist?“ Seine Augen glänzen. „Ist ja nicht gerade hübsch hier.“
    Es stehen Blechspinde an der Wand, Bänke, Sporttaschen mit dem Logo seines Promoters. Es ist genau, was sie sucht.
    „Setzen Sie sich.“ Claire hat einen neuen Film in die Leica gelegt. „Jetzt kommt das, worauf ich die ganze Zeit schon gewartet habe.“
    „Ach ja.“
    Sie spitzt die Lippen, versteckt ihr Gesicht hinter der Kamera. Er lässt sich auf eine Bank fallen, schaut unschlüssig in ihre Richtung. Durch das Objektiv hindurch sind seine Gesichtszüge aufs Wesentliche reduziert. Es liegt etwas Verschmitztes darin, etwas Offenes, beinahe Edles. Sie drückt sich in die hinterste Ecke der
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