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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch
Autoren: Murat Topal
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Würze«, was darauf anspielte, dass auch in ihrer Küche nur wenig Gewürze den Weg in den Kochtopf fanden.
    Na, mir hat diese Einfachheit nichts ausgemacht, sondern im Gegenteil schon als Kind blendend geschmeckt, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Während ich heute zum Essen allerdings meist Apfelschorle trinke, musste es in meiner Kindheit unbedingt eine eiskalte Fassbrause sein. Die ja auch ein Urberliner Lebensmittel ist. Erfunden nämlich 1908 in der heute noch in Spandau existierenden »Essenzenfabrik Dr. Scholvien« und schon bald als »Rixdorfer Fassbrause« erfolgreich vermarktet. Wie bei Coca-Cola ist die exakte Rezeptur des Gebräus strikt geheim, aber irgendwie wurde ein Extrakt aus Lakritz und Apfel-Zitrus so komponiert, dass ein höchst erfrischendes alkoholfreies Getränk entstand. Seit einigen Jahren versucht die Kölner Brauerei Gaffel mit ihrem Ableger »Gaffels Fassbrause« das kühle Nass offenbar recht erfolgreich in Nordrhein-Westfalen zu etablieren. Neulich bei einem Auftritt in Düsseldorf hätte ich mich beinahe auf offener Bühne mit einem Zuschauer in die Haare bekommen, der die schnöde rheinische Kopie dem altehrwürdigen Berliner Original vorzog. Dieser tollkühne Geschmacksverirrte, der anscheinend seine Narrenkappe daheim vergessen hatte, vertrat allen Ernstes die Ansicht, der Rixdorf-Geschmack würde nicht annähernd an die Gaffel-Aromatik heranreichen. Am Ende musste er sich jedoch meinen inquisitorischen Fragen beugen und kleinlaut zugeben, überhaupt noch nie Rixdorfer Fassbrause getrunken zu haben. Was er bei seiner demütigenden Niederlage nicht ahnen konnte: Mir ging es mit dem Kölner Konkurrenzprodukt genauso. Aus schlechtem Gewissen heraus holte ich die Verköstigung aber einige Tage später nach. Und ich muss sagen: schmeckt zwar anders, aber gar nicht schlecht.
    Orijinal jebürtije Balina wie meine Mutter nennen die Fassbrause übrigens Sportmolle. Molle ist nämlich Alt-Berliner Slang für Bier. Weshalb man auch ein anderes typisch berlinerisches Getränk, die Berliner Weiße, ein obergäriges alkoholarmes Bier aus Gersten- und Weizenmalz, oftmals nur kurz Molle genannt hat. Berliner Weiße trinkt man in der Regel nicht pur, sondern entweder mit Schuss (das heißt mit Himbeer- oder Waldmeistersirup) oder mit Strippe (das heißt, schauder!, mit Kümmelbranntwein). Ob pur, mit Schuss oder Strippe : Mich kann man mit dem Gesöff so oder so einmal durch den Grunewald und zurück jagen. Angeblich wird das Zeug in manchen Häusern gar als Suppe serviert. Dieser Teller ist glücklicherweise in all den Jahren an mir vorübergegangen. Möge es auf ewig so bleiben!
    Es gibt übrigens inzwischen ein erst vor wenigen Jahren in unserer Stadt erfundenes Getränk, welches eventuell das Zeug zum Klassiker hat. Es trägt den hübsch anspielungsreichen Namen »Neuköllnisch Wasser« und ist eine Kopfgeburt der Berliner Künstlergruppe Jägudost, die das wundersame Gebräu 2006 aus Anis, Apfel, Zitrone, Limette, Zucker und knalligen 30 Prozent Alkohol mischte. Eine Zusammenstellung, welche die Macher so erklären: »Der Apfelgeschmack erinnert an die bäuerlichen Traditionen im frühen Rixdorf, Anis steht dagegen für die türkischen Einwanderer.« Aha.
    Als eingeschworener Antialkoholiker habe ich das recht bunte Wässerchen noch nicht probiert, aber mir wurde kolportiert, dass schon der Genuss eines einzigen Fläschchens zu recht saftigen Kopfschmerzen führen kann. Ein Effekt, der wahrscheinlich an die verraucht-verruchten Rixdorfer Kneipen des frühen 20. Jahrhunderts erinnern soll.

    Erstaunlicherweise assoziieren die meisten Touristen beim Stichwort »Berliner Küche« aktuell nicht mehr all die von meiner Gattin in mühsamer Kleinarbeit herausgesuchten Traditionsgerichte. Vielmehr beantworten sie die Frage nach typischer Berliner Esskultur ganz prosaisch entweder mit »Döner« oder mit »Currywurst«, DDR-Sozialisierte vereinzelt auch mit Ketwurst.
    Eine Einschätzung, der man sich nur schwer verschließen kann. Denn tatsächlich behauptet das Standardwerk zum Thema Döner Kebap, »Aufgespießt« von Eberhard Seidel-Pielen, dass die uns heute bekannte Variante eines mit Grillfleisch und allerlei Gemüse gefüllten Fladenbrotes weltweit erstmals Mitte der 1970er-Jahre von einem Imbissbudenbesitzer am Kottbusser Damm angeboten wurde. Und die Erfindung der Currywurst wird allgemein einer gewissen Herta Heuwer (nicht verwandt mit dem entfernt ähnlich klingenden Berliner
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