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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch
Autoren: Murat Topal
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vermaledeiten Karl-Besuchs der Haussegen schief. Die eigensinnigste Ehefrau von allen hat sich in den Kopf gesetzt, dem schwäbischen Besucher eine Woche lang Original Berliner Küche vorzusetzen. Seitdem hockt sie nur noch vor dem Computer und sammelt im Copy-and-Paste-Verfahren angebliche Ur-Berliner Rezepte, von denen ich selbst als Geburtsberliner teilweise noch nie etwas gehört, geschweige denn gesehen oder geschmeckt habe.
    Nun hat sie mir ungefähr zehn gigantische Einkaufszettel in die Hand gedrückt, die ich im Supermarkt um die Ecke abarbeiten soll. Schlimm genug, dass sie in den letzten Tagen stundenlang meine Mutter belagert hat, um ihr etwaige nostalgische Geheimrezepte aus ihrer lang verflossenen Kindheit aus dem Hausfrauengedächtnis zu entlocken. Jetzt soll ich als Laufbursche ebenfalls in ihre Küchenarmee eingegliedert werden. Obwohl ich mich des lieben Hausfriedens willen in mein Schicksal füge, kann ich mir den »Auch das noch«-Seufzer beim besten Willen nicht verkneifen. Ein schwerwiegender Fehler! Denn völlig aus dem Nichts rastet die aufbrausendste Ehefrau von allen wegen dieser kleinen Unbeherrschtheit nun völlig aus. Ob ich sie denn noch alle hätte, sie würde sich hier abrackern, um unserem Besuch wenigstens ein bisschen was zu bieten, und ich, der ich doch eigentlich dringend an meinem neuen Programm arbeiten sollte, lungerte die ganze Zeit nur herum. Und nun würde sie mich zum ersten Mal um einen einzigen klitzekleinen Gefallen bitten und ich würde hier sofort den Macho raushängen lassen. Andere Männer – »Ich sage nur: Kurti!«, schreit sie mir ins verdutzte Gesicht (Kurti ist ein guter Bekannter von uns, der aber nun ausgerechnet derjenige Mann aus unserem Freundeskreis ist, der nachgewiesenermaßen noch nie auch nur einen einzigen Handschlag für seine Frau getan hat!) – würden ihren Frauen jeden Wunsch von Augen und Haarspitzen ablesen und ausgerechnet sie müsse nun unbedingt auf so einen im Mittelalter stecken gebliebenen Halbtürken hereinfallen. Ganz offenbar wäre ich wohl der Meinung, mir stünde ein Harem zu, der mich den lieben langen Tag über in einer Sänfte spazieren trägt. Bei dem Wort Sänfte erzittert die Küchentür von der Wucht des Aufpralls, mit der sie von der wütendsten Ehefrau von allen ins Schloss geworfen wird.

    Da stehe ich denn nun bedröppelt allein in der uns vom Elchladen als »Designerküche« verkauften selbst gebastelten Kochwerkstatt herum. Auf all diese in unangemessener Lautstärke vorgetragenen, höchst ungerechten und in ihrer Schlüssigkeit teilweise recht fragwürdigen Vorwürfe hätte ich eine Menge zu entgegnen. Da ich aber nun eben kein halbtürkischer Macho, sondern in Wahrheit ein bereits in meiner Kindheit von meiner Mutter und vor allem von meinen beiden jüngeren Schwestern perfekt auf Emanzipation getrimmter Hausmann bin, verzichte ich darauf, meiner Angetrauten wie Zorro der Rächer durchs Haus zu folgen und sie ob ihrer ungerechtfertigten Beleidigungen zur Rede zu stellen. Stattdessen widme ich mich lieber dem Auslöser ihres Tobsuchtsanfalls: den diversen ellenlangen Einkaufszetteln, die ich immer noch wie Falschgeld in der Hand halte. Eine erste oberflächliche Durchsicht der von meiner temperamentvollen Angetrauten ausgewählten Rezepte belehrt mich, dass sie entgegen meinen ersten Befürchtungen die eher obskuren Gerichte vermieden und sich vernünftigerweise auf echte Klassiker der Berliner Küche konzentriert hat. Leber mit Äpfel und Zwiebeln lese ich da, genauso wie Königsberger Klopse, Blut- und Leberwurst mit Stampfkartoffeln oder Ragout aus Hühnerfleisch mit Kalbsbries und Kalbszunge, das sogenannte Frikassee Berliner Art. Selbst heutzutage weniger bekannte Klassiker wie Häckerle und Hoppelpoppel fehlen nicht.
    Ja, wir Berliner mögen es eher deftig. In Alt-Berliner Küchen galt das SBK-Axiom: schlicht, bodenständig, kalorienreich. Ein befreundeter Koch hat mir einst erklärt, dass die Brandenburgisch-Berliner Küche vom preußisch-protestantischen Ethos geprägt wurde. Man integrierte Kochtraditionen der Einwanderer aus Schlesien, Böhmen, Mecklenburg und Pommern, verfeinerte die Grundrezepte aber nicht ehrgeizig, sondern schlug den leichten Weg ein und vereinfachte sie sogar noch. Aufwendige Zubereitungsformen oder gar raffiniertes Würzen liefen calvinistischer Tugendhaftigkeit zuwider und galten als dekadentes Teufelswerk. Ein beliebtes Scherzwort meiner Mutter lautete: »In der Schürze liegt die
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