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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch
Autoren: Murat Topal
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willst für unbestimmte Zeit diesen notorischen Besserwisser bei uns einquartieren!? Hast du sie noch alle? Meinst du, ich habe Lust, mir wochenlang seine dämlich-herablassenden Bemerkungen zu Do-it-yourself-Hausbau und Neukölln anzuhören!?«
    Unwillkürlich bin ich während meiner Gardinenpredigt lauter geworden als beabsichtigt. Das merke ich daran, dass die stolzeste aller Ehefrauen abrupt die Salatschleuder ins Spülbecken donnert und mich nach einer zwar nur halben, aber nichtsdestotrotz gekonnten Pirouette streitlustig anblitzt.
    »Scheffchen ...«, uj, jetzt ist sie richtig sauer. Sehr ungünstig für mich. Schon meine beiden jüngeren Schwestern haben in Kindertagen mit klug eingesetztem Liebesentzug und persönlichen Nadelstichen immer alles bei mir durchsetzen können. »Würdest du dich nicht immer nur um dein Motorrad, sondern auch hin und wieder um unser Haus und dein Programm kümmern, bräuchtest du keine Angst vor Kritik an deinem Arbeitseifer zu haben.« Eine höchst unfaire Replik. Jeder harmoniebedachte Ehepartner weiß, dass man eines bei häuslichen Auseinandersetzungen unter allen Umständen aussparen muss: die Wahrheit. Aber es geht munter weiter. »Und wenn du dich für Neukölln schämst: ICH wäre mit dir auch nach Zehlendorf gezogen.«
    »Britz ist das Zehlendorf Neuköllns«, wende ich lahm ein, wohl wissend, dass ich bereits hoffnungslos in die Defensive geraten bin. Denn sie hat ja recht. Es war mein Wunsch, in Neukölln zu bauen. Denn ich bin diesem zu Unrecht in Verruf geratenen Stadtteil von Geburt an mit ganzem Herzen verbunden. Nicht anders als sicher auch Kurt Krömer, Frank Zander, Günter Pfitzmann, Marianne Rosenberg und Horst Buchholz, die ebenfalls hier geboren wurden.
    Denn allen notorischen Neukölln-Miesmachern rufe ich kampfeslustig zu: Wer weitgehend harmonisch gelebtes Multikulti sehen will, der komme hierher. Wo sonst kommen die knapp 300.000 Bewohner einer Stadt aus über 160 unterschiedlichen Nationen? Wenn das nicht rekordverdächtig ist, was dann? Und wer wissen will, wo die Zukunft Berlins liegt, der schaue auf uns. Denn wir haben mit durchschnittlich 1,44 Kindern pro Familie die höchste Geburtenrate aller Hauptstadtbezirke. Also, hallo!?
    Das ist aber noch lange nicht alles. Wo bitte findet man mitten im Herzen einer Innenstadt komplett erhaltene Dorfkerne? Bei uns im Böhmischen Dorf, in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Haupt-Einkaufsmeile, der Karl-Marx-Straße. Wo bitte findet man mitten in der Stadt zwei Mühlen, vier Dorfkirchen und eine alte Schmiede? Nur bei uns, im ehemaligen Rixdorf, welches schon immer das Vergnügungsviertel der Hauptstadt war. Wie der alte Gassenhauer »In Rixdorf ist Musike« unschwer belegt. In einer der erwähnten Mühlen – der Britzer Mühle – kann man sich übrigens heutzutage in einer launigen Zeremonie »vermehlen« lassen. Aber weiter im Text.
    Wo bitte kann man ein leibhaftiges Schloss samt Gutshof besichtigen? In Neukölln. Genauer gesagt in Britz, einem der drei Dörfer, die 1920 mit dem damals bereits mit Stadtrechten versehenen Rixdorf zum neuen Bezirk Neukölln zusammengelegt wurden. Und in welchem Stadtteil findet man noch 80 Prozent Altbaubestand aus der Gründerzeit? Na, Sie wissen schon.
    Wirklich traurig, dass Neukölln stattdessen in Medien und Stammtischgesprächen penetrant nur mit Jugendkriminalität, Migrantenproblemen und Arbeitslosigkeit assoziiert wird. Wobei es mittlerweile auch schon das mediale Rollback gibt, das unseren schillernden Bezirk als the next place to be sieht, frei nach dem Motto: Vegetierst du noch oder gentrifizierst du schon? Als ausgebildeter Mediator kann ich sowohl den Schwarz- als auch den Schweinchenrosa-Sehern nur sagen: Don’t believe the Hype!
    Gentrifiziert wird bestenfalls das kleine Karree zwischen Landwehrkanal und Hermannplatz – eine Gegend, die skrupellose Immobilienvermarkter, um vom positiven Image Kreuzbergs zu profitieren, inzwischen gerne Kreuzkölln, oder noch dreister: Kreuzberg-Süd, nennen. Südlich dieses In-Viertels beginnt aber keineswegs, frei nach Queen Elizabeth II., die urbs horribilis . Ganz im Gegenteil: Will man den Norden Neuköllns als »Szene- und Ausgehgegend« charakterisieren, so kann man den Süden unter den Stichworten »Architektur und Erholung« subsumieren.
    Oder wussten Sie etwa, dass die in den 1920er-Jahren erbaute Hufeisensiedlung zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört? Sehen Sie? Ohne Sie jetzt mit der Plattitüde langweilen zu
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