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Berg der Legenden

Berg der Legenden

Titel: Berg der Legenden
Autoren: Jeffrey Archer
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Zum ersten Mal akzeptierte er, dass der Junge weder so etwas wie Angst noch ein Gespür für Gefahr zu kennen schien.
    1896

2
    Ärzte, Philosophen und selbst Historiker stritten über den Einfluss der Vererbung, wenn es darum ging, den Erfolg oder Misserfolg nachfolgender Generationen zu erklären. Hätte ein Historiker George Mallorys Eltern untersucht, wäre er in die Verlegenheit geraten, die außergewöhnlichen Gaben ihres Sohnes zu erklären, ganz zu schweigen von seinem angeborenen guten Aussehen und seiner Ausstrahlung.
    Georges Vater und Mutter zählten sich selbst zur oberen Mittelschicht, obgleich es ihnen an den Mitteln fehlte, um sich solcherlei Behauptung leisten zu können. Die Mitglieder von Reverend Mallorys Gemeinde Mobberley in Cheshire hielten ihn für einen halben Katholiken, engstirnig und borniert, und stimmten darin überein, dass seine Frau sich wichtig tat. George, so schlossen sie, musste seine Anlagen von irgendeinem entfernten Verwandten geerbt haben. Der Vater wusste sehr wohl, dass sein ältester Sohn kein gewöhnliches Kind war, und war nur allzu gern bereit, die nötigen Opfer zu erbringen, um George eine Ausbildung in Glengorse, einer modernen Privatschule im Süden Englands, zu ermöglichen.
    George hörte seinen Vater oftmals sagen: »Wir müssen lediglich unsere Gürtel enger schnallen, vor allem, wenn Trafford in deine Fußstapfen tritt.« Nachdem er eine Weile über diese Worte nachgedacht hatte, erkundigte er sich bei seiner Mutter, ob es in England irgendwelche Privatschulen gäbe, die seine Schwestern besuchen könnten.
    »Gott im Himmel, nein«, erwiderte diese naserümpfend. »Das wäre doch nichts als Geldverschwendung. Und überhaupt, was für einen Zweck sollte das haben?«
    »Zunächst einmal würde es bedeuten, dass Avie und Mary dieselben Möglichkeiten hätten wie Trafford und ich«, stellte George fest.
    »Und warum«, spottete seine Mutter, »sollte man die Mädchen solch einer Tortur aussetzen, wenn es ihre Aussichten auf einen geeigneten Ehemann um keinen Deut verbessert?«
    »Ist es nicht möglich«, wandte George ein, »dass ein Ehemann davon profitiert, mit einer gut ausgebildeten Frau verheiratet zu sein?«
    »Das ist das Letzte, was ein Mann sich wünscht«, antwortete seine Mutter. »Du wirst schon noch früh genug herausfinden, dass die meisten Ehemänner ihrer Frauen lediglich bedürfen, um ihnen einen Erben zu schenken, dazu einen zweiten Sohn als Ersatz, und um die Dienstboten zu beaufsichtigen.«
    George war nicht überzeugt und beschloss, auf eine geeignete Gelegenheit zu warten, um dieses Thema mit seinem Vater zu erörtern.
    ***
    Im Jahr 1896 verbrachten die Mallorys ihre Sommerferien nicht in St. Bees mit Baden, sondern in den Malvern Hills mit Wandern. Während die übrige Familie rasch herausfand, dass niemand von ihnen mit George Schritt halten konnte, unternahm der Vater zumindest den wackeren Versuch, ihn auf den höher gelegenen Pfaden zu begleiten, während die restlichen Mitglieder der Familie Mallory damit zufrieden waren, unten im Tal zu wandern.
    Schnaufend folgte ihm sein Vater mit mehreren Metern Abstand, als George die Sprache erneut auf die heikle Frage nach der Ausbildung für seine Schwestern brachte. »Warum bekommen Mädchen nicht dieselben Chancen wie Jungen?«
    »Es entspricht nicht der natürlichen Ordnung der Dinge, mein Junge«, keuchte sein Vater.
    »Und wer entscheidet, was die natürliche Ordnung der Dinge ist?«
    »Gott«, erwiderte Reverend Mallory und fühlte sich auf sicherem Grund. »Er hat verfügt, dass der Mann arbeiten soll, um Nahrung und Unterkunft für seine Familie zu beschaffen, während seine Gemahlin im Hause bleibt und sich um den gemeinsamen Nachwuchs kümmert.«
    »Aber es muss Ihm doch aufgefallen sein, dass Frauen oft mit mehr gesundem Menschenverstand gesegnet sind als Männer. Ich bin mir sicher, dass Er bemerkt hat, dass Avie viel klüger ist als Trafford oder ich.«
    Reverend Mallory ließ sich zurückfallen, da er etwas Zeit brauchte, um das Argument seines Sohnes zu überdenken, und noch länger, um zu entscheiden, was er darauf erwidern sollte. »Der Mann ist dem Weib von Natur aus überlegen«, behauptete er schließlich, wobei er nicht gänzlich überzeugt klang, weshalb er etwas lahm hinzufügte: »Und wir sollten nicht versuchen, der Natur hineinzupfuschen.«
    »Wenn das stimmt, Papa, wie hat Königin Victoria es dann geschafft, mehr als sechzig Jahre lang erfolgreich zu
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