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Benedikt XVI

Benedikt XVI

Titel: Benedikt XVI
Autoren: Licht der Welt
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überstehen?
    Die Frage
ist auch: Wenn das Christentum im Westen seine gesellschaftsgestaltende Kraft verliert, wer oder was tritt an seine Stelle? Eine areligiöse "Zivilgesellschaft",
die keinen Gottesbezug in ihrer Verfassung mehr duldet? Ein radikaler
Atheismus, der die Werte der christlich-jüdischen Kultur vehement bekämpft?
    In jeder
Epoche gab es die Bestrebung, Gott für tot zu erklären; sich dem vermeintlich
Greifbareren zuzuwenden, und wenn es goldene Kälber sind. Die Bibel ist voll
von solchen Geschichten. Sie haben weniger mit einer mangelnden Attraktivität
des Glaubens als mit den Kräften der Versuchung zu tun. Aber wohin geht dann
eine gottferne, gottlose Gesellschaft? Hat nicht eben erst das 20. Jahrhundert
in West und Ost dieses Experiment durchexerziert? Mit seinen furchtbaren Folgen
an geschlagenen Völkern, der Schornsteine in den Konzentrationslagern, der
mörderischen Gulags ?
     
    Der Direktor der päpstlichen
Residenz, ein sehr freundlicher älterer Herr, führte mich durch nicht enden
wollende Räume. Er habe Johannes XXIII. und alle seine Nachfolger gekannt,
flüsterte er mir zu; dieser hier sei ein ungewöhnlich feiner Papst - und
unfassbar fleißig.
    Wir
warteten in einem Vorzimmer, so groß wie eine Reithalle. Kurze Zeit später
öffnete sich eine Tür. Und da stand die nicht eben riesenhafte Gestalt des
Papstes, der mir seine Hand entgegenhielt. Seine Kräfte hätten nachgelassen,
meinte er zur Begrüßung, fast entschuldigend. Aber dann war nichts zu spüren
davon, dass über den Strapazen des Amtes die Spannkraft dieses Mannes wirklich
gelitten hätte, oder gar sein Charisma. Ganz im Gegenteil.
    Als
Kardinal warnte Joseph Ratzinger vor dem Verlust an Identität, an
Orientierung, an Wahrheit, falls ein neues Heidentum die Herrschaft über das
Denken und Handeln der Menschen übernehmen würde. Er kritisierte die
Spießigkeit einer "Habsuchtgesellschaft", die immer weniger zu hoffen
und nichts mehr zu glauben wagt. Es gelte, eine neue Sensibilität für die
bedrohte Schöpfung zu entwickeln, sich entschieden den Kräften der Zerstörung
entgegenzustellen.
    An dieser
Linie hat sich nichts geändert. Von seiner Kirche will der heutige Papst, dass
sie sich nach den schrecklichen Missbrauchsfällen und Verirrungen einer Art
Grundreinigung unterzieht. Unerlässlich sei, nach vielfach so fruchtlosen
Diskussionen und einer lähmenden Beschäftigung mit sich selbst, endlich wieder
das Geheimnis des Evangeliums, Jesus Christus kennenzulernen in seiner ganzen kosmischen Größe. In der Krise der Kirche läge eine riesige
Chance, nämlich die Wiederentdeckung des eigentlich Katholischen. Die Aufgabe
heiße: den Menschen Gott zu zeigen und ihnen die Wahrheit zu sagen. Die
Wahrheit über die Geheimnisse der Schöpfung. Die Wahrheit über die menschliche
Existenz. Und die Wahrheit über unsere Hoffnung, die über das rein Irdische
hinausgeht.
    Schaudert
uns nicht auch längst vor dem, was wir angerichtet haben? Die ökologische
Katastrophe setzt sich ungebremst fort. Der Niedergang der Kultur nimmt
bedrohliche Formen an. Mit der medizinisch-technischen Manipulation des
Lebens, das einst als heilig galt, werden letzte Grenzen verletzt.
    Gleichzeitig
gilt unsere Sehnsucht einer Welt, die verlässlich und glaubwürdig ist, die nah
ist, die menschlich ist, die uns im Kleinen schützt und uns das Große zugänglich
macht. Werden wir durch eine häufig so endzeitlich wirkende Situation
inzwischen nicht geradezu gezwungen, wieder über einige Grunddinge
nachzudenken? Woher wir kommen. Wohin wir gehen. Jene Fragen zu stellen, die
scheinbar banal sind - und die dennoch so unauslöschlich in den Herzen brennen,
dass keine Generation um sie herumkommt? Fragen nach dem Sinn des Lebens. Nach
dem Ende der Welt. Nach der Wiederkehr Christi, wie sie im Evangelium
angekündigt ist.
     
    Sechs Stunden Interview mit dem
Papst sind eine Menge Zeit, und sechs Stunden sind wiederum auch sehr wenig.
Im Rahmen dieses Gespräches konnten nur wenige Fragen angesprochen und viele
nicht vertieft werden. Der Papst hat bei der Autorisierung des Textes das gesprochene
Wort nicht verändert und lediglich kleinere Korrekturen vorgenommen, wo er
sachliche Präzisierungen für notwendig hielt.
    Die
Botschaft Benedikts XVI. ist am Ende ein dramatischer Appell an Kirche und
Welt, an jeden Einzelnen: Wir können unmöglich weitermachen wie bisher, ruft er
aus. Die Menschheit stehe an einem Scheidepunkt. Es sei Zeit für
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