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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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verheiratete Frau beschloss Léonie, nach Morbegno zu fahren und dort Delikatessen einzukaufen, vor allem aber den von ihrer Schwiegermutter so geliebten bitto .
    Die Cantonis hatten ihr einen Lancia geschenkt, und an einem regnerischen Vormittag machte sie sich auf den Weg: Es war der zweiundzwanzigste Dezember.
    Auf der Landstraße schaltete sie das Radio ein und suchte nach einem Musiksender. Erst leisteten ihr die Beatles Gesellschaft, dann der Soundtrack eines Films von Jean Luc Godard, den sie erst vor Kurzem mit Guido gesehen hatte. Ihre Gedanken eilten zu ihrem liebevollen, aber auch schwer zu durchschauenden Ehemann.
    Sie waren nun ein halbes Jahr verheiratet, und seit drei Monaten erwartete sie ihr erstes Kind. Einmal mehr fragte sie sich, warum Guido sich für sie entschieden hatte. Als er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte, hatte er nicht gesagt: »Ich liebe dich« oder »Du bist großartig!«, sondern nur: »Willst du meine Frau werden?«
    Sie hatte sofort Ja gesagt.
    Für ein Mädchen aus der Provence, das ganz auf sich allein gestellt war, weder Geld noch eine Perspektive hatte außer der, nach Salon-en-Provence zurückzukehren und dort bei der Post zu arbeiten, war Guidos Antrag ein absoluter Glücksfall gewesen.
    Sie konnte zwar nicht behaupten, rundum glücklich zu sein, aber unglücklich war sie auch nicht. Die Cantonis mochten sie sehr, und das war ihr wichtig, da sie noch nie eine richtige Familie gehabt hatte. Und auch nicht die finanzielle Sicherheit, die diese Familie garantierte.
    Als sie ihrem Mann von der Schwangerschaft erzählt und er sie umarmt hatte, hatte sie gewagt, ihn zu fragen: »Warum hast du mich eigentlich geheiratet?« Guido hatte sie nur überrascht angesehen und dann scherzhaft erwidert: »Weil du so hübsch bist.«
    In dem Moment hatte sie gehofft, dass Guido fragen würde, »Und du, warum hast du mich geheiratet?«
    Doch das tat er nicht. Vielleicht, weil er ihre Antwort bereits kannte. Sie hatte ihn geheiratet, weil sie nichts besaß, während er reich, schön und elegant war und aus einer angesehenen Familie stammte.
    Und mehr erwartete Léonie auch gar nicht. Dankbar nahm sie an, was ihr geschenkt wurde, und machte sich ansonsten nützlich. Sie hatte nie versucht, etwas über die Vergangenheit ihres un durchschaubaren, oft melancholischen Ehemanns zu erfahren. Doch kurz nach der Hochzeit hatte sie eine Anspielung aufgeschnappt, die diese betraf.
    Eines Abends hatte Celina ihrem Mann zugeflüstert: »Hoffen wir, dass Guido diese scheußliche Geschichte endlich hinter sich lassen kann!«
    Woraufhin der Cavaliere erwidert hatte: »Das war alles nur deine Schuld. Weil du ihn nach Strich und Faden verwöhnt und verteidigt hast.«
    Â»Ich liebe ihn eben, während du schon immer viel zu streng mit ihm gewesen bist.«
    Â»Jetzt, da ich weiß, dass er sich weigert, die Firma zu übernehmen, denke ich, dass ich noch nicht streng genug war! Was soll nur aus dem Unternehmen werden, wenn ich einmal nicht mehr bin?«
    Diese Familie hatte Geheimnisse, die Léonie nicht kannte und die sie auch gar nicht kennen wollte.
    Auf der Rückfahrt nach Villanova hatte sich der störende Regen, der sie schon auf der Hinfahrt begleitet hatte, in einen richtigen Wolkenbruch verwandelt. Léonie war gezwungen, langsamer zu fahren, und fand sich in einem langen Stau wieder. Sie hätte gern angehalten, um zu Hause anzurufen und zu sagen, dass sie sich wegen des Verkehrs verspäte. Aber sie hatte keinen Schirm dabei und wollte nicht nass werden. Sie war fast schon auf der Höhe von Bellano, als ihr Wagen plötzlich ausbrach, und sie merkte, dass sie eine Reifenpanne hatte.
    Sie entdeckte eine Haltebucht und blieb dort stehen.
    Sie legte die Stirn aufs Lenkrad und sagte laut: » Mon dieu, was jetzt?«

2
    D er Regen prasselte wie verrückt auf das Auto, und sie blieb darin sitzen. Sie wusste, dass sie aussteigen musste, um nach dem Reifen zu sehen, doch noch zögerte sie.
    Â»Wenn ich wenigstens einen Schirm dabeihätte!«, sagte sie sich verzweifelt.
    Schließlich gab sie sich einen Ruck. Sie knotete das Tuch auf, das sie um den Hals trug, band es sich um den Kopf und stieg aus. Bei strömendem Regen stellte sie fest, dass der Vorderreifen platt war und sie damit auf keinen Fall weiterfahren konnte. Sie hatte noch nie einen Reifen gewechselt, also blieb ihr nichts anderes
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