Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Befohlenes Dasein

Befohlenes Dasein

Titel: Befohlenes Dasein
Autoren: J. E. Wells
Vom Netzwerk:
geht über einen Innenhof. Er sieht Soldaten und Waffen. Ordonnanzen sprengen heran, Offiziere geben Befehle. Meldegänger mit der Armbinde der Revolution stürzen keuchend heran, Verwundete lassen sich verbinden. Von draußen ist der Gesang der Menge zu hören: Allons, enfants de la patrie!
    Tikkal wandelt wie im Traum. Türen öffnen sich, Gänge werden durchschritten. Man löst die Fesseln von seinen Händen. Ein schweres, eisernes Tor wird geöffnet. Schlüssel rasseln. Dumpfe, feuchte Luft schlägt ihm entgegen. Man stößt ihn ins Innere, in ein Halbdunkel, in dem er viele Menschen erkennt, die auf dem steinernen Boden sitzen.
    In großer Höhe lassen zwei vergitterte Fensterluken spärlichen Lichtschein in das Gewölbe. Die Luft ist infernalisch. Geruch ungepflegter Menschen.
    Krono Tikkal sucht sich ein freies Plätzchen und läßt sich dort auf den Steinfußboden sinken. Niemand spricht ihn an, und auch er verspürt keine Lust, Gespräche zu führen. Er steht nach kurzer Zeit wieder auf und begibt sich zur Tür. Wieder werden Verurteilte gebracht.
    „Hallo, Kameraden!“ ruft Tikkal den Wachen voller Verzweiflung zu. Niemand antwortet, niemand beachtet ihn.
    „Es hat keinen Zweck, Freund“, sagt ein alter Mann zu ihm. „Erniedrige dich nicht! Nimm dein Schicksal mit Würde!“
    „Aber ich habe doch gar nichts getan!“ ruft Tikkal.
    „Wir alle haben nichts getan. Aber das Glück ist gegen uns. Heute trifft es diesen, morgen jenen. In solchen Zeiten fragt man nicht nach Schuld und Unschuld, in solchen Zeiten regiert der Zufall.“
    „Aber so laß dir doch erzählen …“
    Der Alte winkt ab.
    „Ich will es nicht hören, Freund. Jeder von uns hat eine solche Erzählung parat. Finde dich damit ab! Wir sind Stiefkinder des Glücks.“
    Schlüssel rasseln an der Eisentür. Ein Offizier in einer der komischen Mützen. Er hält ein Blatt in der Hand. Seine beiden Begleiter machen wichtige Gesichter.
    Der Offizier verliest Namen.
    „Montroux, Bellarmes, Meunier, Colombin …“
    Wehklagen, Geschrei, das starre Gesicht des Offiziers …
    Und dann noch ein Name.
    „Tichalle.“
    Krono Tikkal durchfährt es wie ein glühender Draht. Hatte nicht jener Richter dort draußen seinen Namen mit „Tichalle“ notieren lassen? Was will man von ihm? Hat man endlich eingesehen, daß er unschuldig, daß er unbeteiligt ist?
    Noch einmal der Name, schärfer, akzentuierter.
    „Tichalle!“
    Krono Trikkal erhebt sich, wie von unsichtbaren Händen geführt.
    „Heißt du Tichalle, Bürger?“ fragt der Offizier ungehalten.
    „Ja, ich heiße Tichalle.“
    „Warum sagst du das nicht eher? Warum stiehlst du uns die Zeit? Mitkommen!“
    „Siehst du, Freund“, sagt der Alte zu ihm. „Nun hast du es bald überstanden. Es ist alles nicht so schlimm!“
    Im Hof der Gefängnisburg steht ein zweirädriger Karren. Man fordert die fünf Genannten auf, hinaufzuklettern. Krono Tikkal wendet sich unschlüssig um.
    „Ich wollte doch …“, beginnt er.
    „Rauf, Bürger! Rauf, sage ich!“ fährt ihn der diensttuende Soldat barsch an.
    „Aber ich habe doch …“
    Zwei der umherstehenden Soldaten kommen herbei. Tikkal wird auf den Karren geworfen, dann hat er alle Hände voll zu tun, um nicht herunterzufallen, denn das Gefährt setzt sich schwankend in Bewegung. Die Tore der Burg fliegen auf, der Karren wird von einer schreienden Menge Neugieriger empfangen.
    „Was soll das?“ fragt Tikkal einen seiner Leidensgenossen, der am Boden des Karrens sitzt und den Kopf in die Hände vergraben hat.
    Der Mann schreckt hoch.
    „Was das soll? Weißt du nicht, was das soll, Kamerad? Es ist unsere letzte Fahrt!“ Er lacht höhnisch auf. „Vive la République! Hörst du sie schreien und toben? Willst du mal sehen, wie das Pack reagiert, wie es sich ärgert?“
    Er springt auf, Tikkal will ihn zurückhalten, doch er reißt sich mit einem spöttischen Lachen los.
    „Vive le roi!“ brüllt er durch die Hände in die Menge hinein.
    Ein Wutschrei der Menge antwortet auf diese Herausforderung. Die Begleitmannschaften haben alle Hände voll zu tun, den anstürmenden Pöbel zurückzudrängen.
    „Halte den Mund, Bürger Meunier!“ ruft der Offizier der Bewachungsmannschaft.
    „Für dich bin ich noch immer der Vicomte le Meunier!“ antwortet der Gemaßregelte trotzig.
    Die Fahrt ist zu Ende. Sie ging bis auf einen weiten, großen Platz, den Gréveplatz. Dort steht an der Seite ein hohes Gerüst, während mehr als hunderttausend Menschen den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher