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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Autoren: Klaus Mainzer
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quantitative Veränderung durch Zu- oder Abnahme der Größe, qualitative Veränderung durch Wechsel der Eigenschaften und räumliche Veränderung durch Wechsel des Ortes.
    Als Logiker schlägt Aristoteles eine systematische Ableitung des Materiebegriffs für die ganze Natur vor. So postuliert er einen form- und eigenschaftslosen Urstoff (materia prima) als reine Potenz, der von den aktuell existierenden Formen der Materie (materia secunda) unterschieden wird. Die Materie der Natur ergibt sich in gestuften Gegenstandsbereichen aus dem Urstoff durch immer komplexer werdende Struktur- und Formmerkmale. Dabei wird die jeweils vorausgehende Stufe als Materie für das komplexere Formmerkmal der folgenden Stufe bezeichnet, so daß Materie als Prädikator nach Aristoteles zweistellig ist: x ist Materie für y.
    So ist der formlose Urstoff Materie für die vier Qualitäten ,warm‘, ,kalt‘, ,feucht‘, ,trocken‘, aus deren Verbindung sich die vier Elemente Erde (kalt und trocken), Wasser (kalt und feucht), Luft (warm und feucht), Feuer (warm und trocken) ergeben. Die Elemente sind Materie für die gleichteiligen Stoffe, die wiederum Materie für die ungleichteiligen Stoffe, z.B. einzelne Körperteile von Lebewesen sind, die unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die gleichteiligen und ungleichteiligen Stoffe sind Materie für beseelte Lebewesen, wobei die Seele als neues Formmerkmal hinzutritt. Die Wirkungsweise der Materie ist daher nach Aristoteles durch Stukturmerkmale notwendig bestimmt und im Sinne einer zunehmenden Realisierung von Form zweckgerichtet.
    In aristotelischer Tradition sind also Form und Materie Prinzipien, die wir durch Abstraktion an den wirklichen Dingen unterscheiden und logisch klassifizieren können. Demgegenüber nimmt die Naturphilosophie der Stoa (seit ca. 300
    v. Chr.) einen universellen Wirkungsstoff (pneuma) an, der die Natur als kontinuierliches Medium durchdringt. Modern drängt sich die Vorstellung von Wirkungsfeldern auf. Materiemodelle mit rhythmischen Wellen und Feldern finden sich auch in der taoistischen Naturphilosophie. Eine Vorliebe für akustische Fragen und erste Beschäftigungen mit magnetischen und elektrostatischen Wirkungen sind auf diesem Hintergrund verständlich.
     
     
3. Materie und Schöpfung im Mittelalter
     
    Die Materiemodelle der Antike und des Mittelalters hängen nicht nur von philosophischen Positionen ab, sondern werden teilweise bereits aufgrund von Beobachtungen, Experimenten und Meßverfahren gewonnen. In hellenistischer und später islamischer Tradition wird das chemische, biologische und medizinische Wissen mit deutlicher Hinwendung zum Experiment und Laboratorium weitergebildet. So modifizierten die alexandrinischen Alchimisten die aristotelische Lehre dahingehend, daß die Urmaterie als Stoff isoliert werden könne, um auf dieser Basis durch Zuführung der notwendigen Eigenschaften (Formen) Schritt für Schritt Mutationen durchzuführen, bis die Stufe des Silbers oder Goldes erreicht sei. {7}
    In der scholastischen Naturphilosophie des Mittelalters wurde bereits ein chemischer Verbindungsbegriff ausgearbeitet. Die entscheidende Frage war, ob und in welcher Form die Elemente in dem daraus gebildeten Produkt erhalten bleiben. Wenn z.B. Bronze aus einem ,mixtum‘ von Kupfer und Zinn entsteht, dann stellt sich aristotelisch die Frage, wie das potentielle oder virtuelle Fortbestehen der Elemente Kupfer und Zinn im ,mixtum‘ Bronze zu verstehen sei.
    In der durch den islamischen Philosophen Averroës (1126– 1198) weiterentwickelten aristotelischen Theorie der Materie entstand die Annahme, jede Stoffart besitze ihre eigenen quantitativen Minima (minima naturalia), die jeweils charakteristische Eigenschaften der Stoffe verursachen und daher nicht weiter geteilt werden können, ohne daß die typischen Eigenschaften verloren gehen. Die chemischen Prozesse der Materie werden also auf der Ebene der minima naturalia vermutet. Im Unterschied zu Demokritischen Atomen, die nur durch quantitative Kennzeichen wie geometrische Gestalt, Lage und Konfiguration bestimmt sind, besitzen die minima naturalia die qualitativen Eigenschaften, die an Makrokörpern dieser Stoffe wahrnehmbar sind. In der Schule von Padua, die den Aristotelismus des 15. und 16. Jahrhunderts prägte, wird die Materietheorie der minima naturalia als Gegenentwurf zur Demokritischen Atomistik verstanden. {8}
    Die aristotelisch-averroistische Tradition kennt auch einen Erhaltungssatz der Materie,
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