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Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben

Titel: Beck Wissen - Materie - Von der Urmateria zum Leben
Autoren: Klaus Mainzer
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verschiedenartige Anordnung in Stoff Verbindungen. Sie bewegen sich notwendig in einem ständigen Wirbel. Bewegung bedeutet dabei nur Ortsveränderung im leeren Raum. Alle Erscheinungen, alles Werden und Vergehen wird auf Verbindung und Trennung zurückgeführt. Um die Kohäsionen der Stoffe begründen zu können, werden merkwürdig anmutende Haken, Höcker, Buchtungen und Verzahnungen der Atome angenommen. Demokrit war aber nicht nur Theoretiker vom Schlage Heraklits, sondern (nach Aristoteles) auch experimentell interessiert. So wird von einem atomistischen Erklärungsversuch berichtet, warum feine Metallplättchen auf dem Wasser schwimmen, während leichtere und runde Plättchen absinken. Bei dem späteren Atomisten Lukrez findet sich ein Versuch zur Herstellung von Süßwasser. Filtert man nämlich Salzwasser durch Erde, so erhält man nach atomistischer Erklärung Süßwasser, da die „rauheren“ Atome stecken bleiben.
    Eine erste Verbindung von Atomismus und mathematischer Naturbeschreibung in pythagoreischer Tradition kündigt sich in Platons Dialog Timaios an. Die Veränderungen, Mischungen und Entmischungen der Materie, von denen die Vorsokratiker gesprochen hatten, sollten systematisch auf unveränderliche mathematische Regularitäten und Symmetrien zurückgeführt werden. Die Zuordnungen von regulären Körpern zu den Naturelementen geschieht bei Platon aufgrund äußerlicher und uns heute willkürlich erscheinender Kennzeichen (Abb. l): {4} Das Feuer ist aus den kleinsten und spitzesten Körpern, den Tetraedern, gemacht, Erde aus den standfestesten, den Würfeln. Luft aus Oktaedern und Wasser aus Ikosaedern werden dazwischen angenommen. Das Dodekaeder wird wegen seiner Kugelähnlichkeit für die Himmelssphäre verwendet. Wegen der Flächen-, Kanten- und Winkeleigenschaften dieser Polyeder können nur mit den Würfeln (Erdbausteine) zusammenhängende Körper ohne Zwischenräume aufgebaut werden.
    Geometrisch lassen sich die regulären Körper an passenden Kanten aufschneiden und ihre Teilflächen als Netze ausfalten.
     

    Abb. 1: Elemente als reguläre Körper
     
    Aus dem Netz des Oktaeders können zwei Tetraeder mit einer gemeinsamen Kante gebildet werden, aus dem Netz des Ikosaeders zwei Oktaeder und ein Tetraeder oder fünf Tetraeder. Naturphilosophisch liegt hier eine Art chemischer Analyse und Synthese vor. Bezeichnet man die platonischen Elemente mit F (Feuer), L (Luft), W (Wasser), E (Erde), so gelten offenbar die „chemischen Formeln“ 1L = 2F und 1W = 2L + 1F = 5F. Die Bedeutung dieses Ansatzes ist jedoch im Grunde erst in der Moderne gewürdigt worden, wenn man von sporadischen Erwähnungen einiger Neuplatoniker absieht. Mit Aufkommen der Kristallographie, Stereochemie und Elementarteilchenphysik wurde aus der platonischen Kernidee der mathematischen Symmetrie ein erfolgreiches mathematisches Forschungsprogramm, um Kristalle, Atom- und Molekülverbindungen durch einen (allerdings erweiterten) Symmetrie begriff zu erklären, neue Phänomene voraussagbar und empirisch überprüfbar zu machen.
    Nach Aristoteles ist es Aufgabe der Physik, die Prinzipien und Funktionen der Vielfalt und Veränderungen in der Natur zu erklären. Dabei kritisiert er diejenigen Naturphilosophen, die ihre Prinzipien mit einzelnen Stoffen identifizieren. Die einzelne Pflanze oder das einzelne Tier ist nicht einfach die Summe der materiellen Bausteine. Das Allgemeine, was das Einzelwesen zu dem macht, was es ist, nennt Aristoteles die Form (eîdos). Dasjenige, was durch die Form bestimmt wird, heißt Materie (hýlē). Form und Materie existieren jedoch nicht für sich, sondern sind durch Abstraktion gewonnene Prinzipien der Natur. Materie wird daher auch als die Möglichkeit (dýnamis) des Geformtwerdens bezeichnet. Erst dadurch, daß Materie geformt wird, entsteht Wirklichkeit (entelécheia). {5}
    Veränderungen erklärt Aristoteles durch ein drittes Prinzip neben Materie und Form, nämlich den Mangel an Form (steresis), der durch eine entsprechende Veränderung aufgehoben werden soll. Bewegung (kínēsis) wird allgemein als Veränderung (metabolē´), als Übergang von der Möglichkeit zur Wirklichkeit, als „Aktualisierung der Potenz“  (wie das Mittelalter sagen wird) bestimmt. {6} Natur wird im Gegensatz zu einem vom Menschen hergestellten Kunstwerk oder technischen Gerät als alles das verstanden, was das Prinzip der Bewegung selbst in sich trägt. Aristoteles unterscheidet drei Arten der Bewegung, nämlich
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