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Bädersterben: Kriminalroman

Bädersterben: Kriminalroman

Titel: Bädersterben: Kriminalroman
Autoren: Kurt Geisler
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konnte eigentlich nicht verkehrt sein, sich vor dem Anpfiff noch einmal zu erleichtern. Auf diesen Gedanken schienen allerdings viele andere auch gekommen zu sein, und so musste er sich in eine lange Schlange von Pinkelwilligen einreihen. Es gab nur ein Pissoir, das wusste er, und so schaute er sich erstmals gelangweilt den etwas angestaubten Glaskasten seines Tennisvereins an. Da wurde zunächst der Vorsitzende mit Bild und Text vorgestellt, und auf beiden Seiten klebten aktuelle Fotos der aufgestiegenen Jugendmannschaften, während unten rechts in der Ecke nur noch ein verblichenes Mannschaftsfoto der Damenmannschaft vor der Jahrtausendwende mit den Gönnern des Aufstiegs in die Landesliga stand. Der stolze Hauptsponsor war ein älterer Herr, ein Richard Heidenreich aus Hamburg, der auf dem Ravensberg zur Schule gegangen war. Der feine Herr wirkte ein wenig wie ein Fossil, wogegen die Tennisdamen recht knackig aussahen, obwohl ihre Frisuren deutlich auf das letzte Jahrhundert zurückwiesen.
    In der linken Ecke des Glaskastens steckte an einem Pin ein kleiner Ausschnitt der Kieler Rundschau, der berichtete, dass am letzten Spieltag der vergangenen Saison die 60-Jährigen des Tennisvereins im Beisein von immerhin 200 Zuschauern nach hartem Kampf zum ersten Mal in die Bezirksliga aufgestiegen waren. Das war Geschichtsklitterung, befand Stuhr, denn es blieb unerwähnt, dass seinerzeit 190 dieser Zuschauer ausschließlich das spannende Saisonfinale der Bundesliga bei Torge im Vereinsheim verfolgten. Aber davon lebt schließlich der Lokalteil jeder Zeitung, von dem Hervorheben oder dem Niedermachen von Ereignissen, die sich vor der eigenen Haustür abspielen, obwohl sie landesweit gesehen völlig unspektakulär waren.
    Die Schlange vorm Pinkelbecken verkürzte sich erstaunlich schnell. Erst als er in die Toilette eintrat, bemerkte Stuhr, dass neben dem Pissoir sowohl die Kloschüssel als auch das Handwaschbecken zum Pinkeln benutzt wurden. Sein Ding war das nicht, und so wartete er trotz des hinter ihm aufkommenden Unmuts brav, bis er am Pissoir an der Reihe war.
    Obwohl die unbelehrbaren Stehpinkler krass im Gegensatz zu den ungeschriebenen Regeln des Vereinslebens standen, liebte Stuhr die spannungsgeladene Atmosphäre bei Fußballevents mehr als das Tennisgeschehen rund um das Vereinsheim. Viele Fußballfreunde saßen im Fan-Outfit hier, und wenn sich der eine freute, stöhnte der andere auf. Wie im echten Leben eben, in der Ehe sowieso und vermutlich früher auch im Krieg. Die neue Saison der Bundesliga schien Stuhr sowieso das weitaus beste Schlachtfeld für Kriege aller Art zu sein.
    Seine Gedanken wurden kurzfristig von dem wütenden Sommersturm abgelenkt, der den Regen immer heftiger gegen die breite Fensterfront des Vereinsheims peitschte. Viele Pfützen hatten sich vor allem an den Grundlinien der Tennisgrandplätze gebildet, was nicht nur Pflichtspiele unmöglich machte. Von Zeit zu Zeit wurden diese ungeliebten Wasseroberflächen zwar von heftigen Böen zerfegt, doch wenig später füllten die daraufprasselnden Wassermassen sie in Windeseile wieder neu auf. Die den Platz schützenden Pappeln wurden immer wieder vom Sturm gebeutelt und schüttelten ihre grünen Blätter auf die Anlage herunter.
    Helge Stuhr freute sich darüber. Es würde zwar länger dauern, bis der Platz für seine Vereinskollegen wieder einigermaßen bespielbar wäre, aber er selbst hatte wenigstens alles richtig gemacht, denn ursprünglich wollte er bereits am Samstag zu einem Kurzurlaub an die Nordsee nach St. Peter-Ording aufbrechen. Als er jedoch im Fernsehen mitbekam, dass diese störende Sturmfront angekündigt wurde, war er entgegen seinen Planungen schön zu Hause in Kiel geblieben und hatte ein wunderbares Sportwochenende eingelegt. Vor dem Fernseher natürlich, denn selbst in der sturmerprobten Landeshauptstadt wurden bei solchen Unwettern viele Ziegel von den Dächern heruntergefegt und unzählige Keller überflutet.
    Bei dem angekündigten Wetter verspürte er keinerlei Lust, sich an die Nordsee zu begeben. Stuhr konnte sich lebhaft vorstellen, wie sich die von Sturm und Regenschauern frustrierten Touristenscharen in Plastikregenhäuten fluchend mit ihren quengelnden Kindern in die vielen ungeheizten Gaststätten und Imbisse des Strandbades hineinflüchteten. Nein, das mochte er nicht. Da zog er es vor, hier in Kiel in der sachlich gehaltenen Ausstattung des Sportheims gemeinsam mit seinen Kumpels die Sonntagsspiele der
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