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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising
Autoren: Glen Duncan
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wäre. Ganz sicher nicht meine Mutter. An ihrem letzten Nachmittag hatte sie zwischen Morphinschüben die Augen aufgeschlagen und gesagt: »Alles.«
    Mein Dad war ins Bad gegangen. Ich war allein mit ihr. Nahm ihre Hand.
    »Was ist, Ma?«
    Die Krankheit und die Medikamente hatten ihr eine traumatisierte Version von Schönheit verliehen. Als Kind hatte ich ihr am liebsten dabei zugeschaut, wie sie sich zum Ausgehen fein machte, was sie immer voller Ironie tat, so als sei das unter ihrer Würde, doch im letzten Augenblick, wenn sie fertig war, warf sie mir im Spiegel einen Blick heimlichen Einverständnisses zu, von Frau zu Frau. Ich liebte diesen Blick.
    »Du«, sagte sie, kaum genug Feuchtigkeit im Mund, um die Worte herauszubringen. »Willst alles. Wie ich.«
    Wir sahen uns an. Einen merkwürdigen, ausgedehnten Augenblick war es, als seien wir eine Person. »Ich will nicht gehen«, sagte sie. Dann holten die Medikamente sie wieder ein, und sie schloss die Augen. Das waren ihre letzten Worte. Vier Stunden später war sie tot.
    Ich hatte drei immer wiederkehrende Tagträume. In einem davon lebte ich mit einer zwölfjährigen Tochter in einer Villa in Los Angeles. Türkisblauer Swimmingpool, Kaktusgarten, Sonnenschein, Cloquet mit Strohhut und in Bermudas, der uns Französisch beibringt.
    Im zweiten gab es einen kleinen Werwolfjungen in zerfetzter Schuluniform, blutbedeckt, ein einsamer Augapfel in der Brotdose, eine menschliche Zunge baumelt aus der Jackentasche. Natürlich war das düster und komisch. Wenn es keinen Gott gibt, ist sinistre Komik immer eine Möglichkeit.
    Drei Tagträume, sagte ich.
    Ich weiß.
    Noch nicht.

    Auf halber Strecke die Kellertreppe hinunter gaben meine Beine nach. Ich klammerte mich am Geländer fest, ging auf die Knie und übergab mich. Galle und Wasser, denn seit zwölf Tagen hatte ich nichts Festes zu mir genommen. Das war nicht immer so gewesen. Die ersten achtzehn Wochen meiner Schwangerschaft hatte ich locker und beschwerdefrei hinter mich gebracht. Dann hatte sich das schlagartig geändert. Krämpfe, Erbrechen, nächtliche Schweißausbrüche, Sehstörungen, Nasenbluten, Rückenschmerzen, Durchfall, Unterleibsschmerzen, dass mir die Luft wegblieb. Über Nacht hatte mich die Biologie zum Boxsack erkoren. Wenn ich Glück hatte, gab es nach der Verwandlung eine Ruhepause von einer Woche, in der die körperliche Gewalt nachließ, aber wenn der Mond ins erste Viertel kam, ging alles wieder von vorn los, und je größer der Hunger wurde, desto mehr prügelte mir die Mutterschaft die Scheiße aus dem Leib. Jetzt kam zum Fluch noch ein zweiter hinzu: Du hungerst, aber dein Hunger macht dich krank. (Mein letztes Opfer, ein nach Zwiebeln und Whiskey schmeckender Zuhälter in Mexico City, hatte keine Stunde, nachdem ich ihn verschlungen hatte, zu einem nicht jugendfreien Erbrechen geführt. Ein sinnloser Tod. Nun war er ein Fremdkörper unter meinen Toten, verwirrt und zornig darüber, nicht vollständig aufgenommen worden zu sein – oder darüber, aufgenommen und dann wieder halb hinausgewürgt worden zu sein.) Eine Weile klammerte ich mich an die moralische Theorie, dass die Mutterschaft den Mord verabscheuen würde. Doch dann waren Dinge geschehen. Es waren Dinge geschehen, und die Theorie ging über Bord.
    »Schon in Ordnung«, krächzte ich zu Kaitlyn hinab. »Ich bin’s nur.«
    Was man so von sich gibt: Ich bin’s nur. Deine Kidnapperin. Wie beruhigend. Kaitlyn erwiderte nichts darauf. Sie stand neben dem Feldbett und hielt das Kabel, mit dem sie gefesselt war, in der Hand. Dreiundzwanzig, laut ihrem Führerschein. Blasse Haut, fettige blonde Haare, leicht hervorquellende blaue Augen und einen wie aufgeblasenen Puppenmund. Alles in allem nicht ganz sauber (ich sah einen dreckigen Bauchnabel vor mir, und in ihrem Zimmer würde es wohl aussehen, als hätte sich ein Poltergeist ausgetobt), aber schlank und hübsch genug, um mit nichts Schlimmerem als einem One Night Stand zu rechnen, als Cloquet sie in Fairbanks aufgabelte. Sie hatte sich früh dem Glauben hingegeben, dass Sex das Einzige sei, was sie zu bieten hatte, und verbrachte viel Zeit damit, im Bett Dinge zu tun, die sie eigentlich nicht tun wollte, aber, he, weißt du, so sind die Jungs, so ist die Welt. Es gab Millionen junger Frauen wie sie in ganz Amerika. Ich war nie eine von ihnen gewesen. Als Kind hatte ich Liebe erlebt und Winternächte, in denen mein Dad mich durch die Sternbilder geführt hatte. Ich hatte katastrophale
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