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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising
Autoren: Glen Duncan
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Cloquet.
    »Besser.«
    »Wenn du doch nur die Medikamente nehmen würdest.«
    Sag nein zu Drogen. Hatte ich bislang getan. Paracetamol, Pseudoephedrin, Kodein, Demerol, Morphin. Alle mit möglichen Nebenwirkungen, die meine Phantasie sich ausmalte. Einnahme dieser Medikamente im ersten Trimenon kann zu Verhaltensauffälligkeiten beim Kleinkind führen.
    Verhaltensauffälligkeiten. Jake und ich hätten uns nur angesehen. Aber Ironie war wie ein Geheimnis: Ungeteilt ging sie ein. Jake und ich hätten. Jake und ich. Jake. Ich. Es gab solche Augenblicke, in denen es zwischen mir und der Wirklichkeit seines Todes nichts gab und Zukunft wie eine riesige Ebene voller Abgründe und falscher Perspektiven vor mir gähnte. Solche Augenblicke, wusste ich, würde es immer häufiger geben, bis sie schließlich keine Augenblicke mehr waren, sondern kontinuierliche, niederschmetternde Normalität. Normalität war, dass die Geburt unseres Kindes angeblich alles lindern würde.
    »Die heben wir uns für den Zeitpunkt auf, wenn ich sie wirklich brauche«, sagte ich.
    Wir beide wussten, dass ich sie jetzt schon brauchte, wo der Wolf bereits das Zimmer mit seinem Gestank erfüllte, mir Stacheldrahtschocks durch die Fingernägel zuckten, Eisen in meinen Augenzähnen schepperte und draußen das schmutzige Gerede der Wildnis wisperte. Bis zur Verwandlung waren es keine vierundzwanzig Stunden mehr.
    »Du musst nicht tapfer sein«, meinte er.
    »Bin ich nicht. Ich denke nur vorausschauend.« Ich wollte nicht vorausschauend denken. (Ich wollte auch nicht zurückdenken. In beiden Richtungen drohte nur Schrecken.) Ein Freund der vielseitigen Alison hatte mal beschrieben, wie es war, seiner Frau bei der Geburt zuzuschauen. Ich würde euch ja gern erzählen, dass es schön war , hatte er gesagt, aber eigentlich sah es so aus, als hätte ihr jemand eine Schrotflinte an die Scheide gehalten. Dieses Bild tauchte immer wieder auf, genau wie das Video im Sexualkundeunterricht in der Highschool, vergilbte Aufnahmen von einer Frau mit dicken Oberschenkeln, die schweißgebadet ein Kind gebar. Wir Teenies waren total angewidert. Lauren hatte zu mir gesagt: »Scheiß auf das Wunder des Lebens, wo muss ich mich für eine Hysterektomie anmelden?«
    »Ich gehe und schaue unten nach«, sagte Cloquet.
    »Nein, ich gehe.«
    »Du musst dich ausruhen.«
    »Ich muss mich bewegen. Au. Scheiße.« Das Baby tanzte, kratzte in mir. Es schickte mir heftige Kommuniqués. Immer dasselbe: Ich habe dich gesehen. Im Spiegel. Dich und Delilah Snow. Mutter.
    Ich erstarrte, wartete darauf, dass der Schmerz sich wieder in sich selbst zurückzog.
    »Und du willst wirklich nichts?«, fragte Cloquet.
    Ich schüttelte den Kopf. Dann hielt ich ihm die Hand hin. »Ich glaube nicht, dass ich allein hochkomme.«

2
    In der einen Minute bist du die kleine Lula, acht Jahre alt, sitzt am Tresen des Diners in der Tenth Street und trinkst im Schein der pinkfarbenen Coors-Neonreklame einen Vanillemilchshake – in der nächsten dann das hier, der Gestank von Leber unter den Fingernägeln, und das Wasser in der Dusche läuft dir rot um die Füße. Als Gedankenexperiment begehst du Selbstmord. Ich mache es nicht. Eher bringe ich mich um. In Wirklichkeit tust du es nicht. In Wirklichkeit tötest und frisst du jemand anderen. Du fängst an einer Seite des Experimentes an, denkst alles durch und kommst am anderen Ende wieder heraus. Du hast einen Menschen getötet und gefressen. Blut zwinkert an deinen Fingern, drückt die Haare an Armen und Schnauze platt. Das verschlungene Leben schlägt in dem, was es rührenderweise für einen schlechten Traum hält, wild um sich. Der Mond geht unter. Am folgenden Tag erwachst du in Bettzeug, das nach Weichspüler duftet. Im Fernsehen läuft CNN. Es riecht nach Kaffee. Draußen ist es schön oder nicht. Im Spiegel siehst du dein menschliches Antlitz. Die Welt ist, wie du feststellst, ein Ort von beängstigender Stetigkeit. Ich habe sein Herz gefressen. Unglaublich, dass die Worte sich nicht weigern, nicht rebellieren. Aber warum sollten sie? Hast du doch auch nicht getan. Stimmt schon, da ist das Entsetzen. Aber das Entsetzen vergeht wie die Ebbe: Jede einzelne Welle versandet ein Stück weiter draußen. Schließlich ist das Wasser fort. Schließlich ist da nur das seufzende Delta, das neue Ich, die Werwölfin.
    Niemand, der mich kannte, wäre überrascht gewesen. Lauren nicht. Richard nicht. Tante Theresa nicht. Auch nicht mein Dad, wenn er ehrlich gewesen
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