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Babylon in Hongkong

Babylon in Hongkong

Titel: Babylon in Hongkong
Autoren: Jason Dark
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herumgesprochen. Mich irritierten die mit rotem Lack bestrichenen Holzwände. Auf ihnen spiegelte sich der Lampenschein und blendete an manchen Stellen. Wir nahmen an einem Zweiertisch Platz und bestellten Tee. Suko hatte den Brief mittlerweile geöffnet, aber noch seine Hand daraufgelegt. Erst als der Tee gebracht worden war und wir kleine Schlucke aus den hauchdünnen Tassen nahmen, zog er das Papier aus dem Umschlag und begann zu lesen.
    Ich konnte durch das Papier schauen und erkennen, daß ich davon kaum etwas verstehen würde, denn der Brief war in chinesischer Schrift abgefaßt.
    Dafür beobachtete ich Suko beim Lesen. Er war ein Mensch, der sich stets in der Gewalt hatte. Es gab nur wenige Momente, wo er wirklich ausgeflippt war, aber die konnte ich an den Fingern einer Hand abzählen und hingen zumeist mit Shao zusammen, seiner im Reich der Spinnengöttin verschwundenen Partnerin.
    An diesem Tag allerdings sah ich Suko aus der Fassung geraten. Das geschah nicht plötzlich, sondern intervallweise. Er schloß die Augen, öffnete sie wieder, las weiter, sein Gesicht verlor an Farbe, wurde grau und grauer, und anschließend so bleich wie kaltes Rinderfett. Sein Blick flackerte, Schweiß lag auf seiner Stirn, den er mit einer fahrigen Bewegung wegwischte, die Lippen bewegte, aber lautlos vor sich hinsprach, so daß ich nichts verstehen konnte.
    Ich wollte ihn ansprechen und merkte, daß ich von ihm in diesem Moment keine Antwort bekommen würde. Das dünne Papier knisterte nur deshalb, weil Sukos Finger so zitterten. Dieser Brief hatte ihm einen regelrechten Schock versetzt.
    »Was ist denn?« flüsterte ich ihm über den viereckigen Tisch hinweg zu.
    »Was hast du?«
    Er ließ den Brief sinken. Dabei rutschte ihm das dünne Papier aus den Fingern. Suko starrte mich an und sah mich trotzdem nicht. Es gibt diese Blicke, die so leer sind und wo sich der andere mit seinen Gedanken weit, weit fortbewegte.
    »He, schläfst du?« Suko schüttelte den Kopf. Eine Antwort bekam ich trotzdem nicht.
    »Was ist denn los?« Ich räusperte mich. »Hat dich der Brief dermaßen geschockt, daß du nicht reden kannst?«
    Diesmal nickte er.
    »Und wer hat ihn geschrieben?«
    Suko atmete tief und seufzend durch. Jetzt wirkte er wie jemand, der aus einem langen, tiefen Schlaf erwacht war und sich erst noch erinnern mußte.
    »Sag schon was!«
    Er sprach mit tonloser Stimme. Jedes Wort drang stockend aus seinem Mund, während ich den Eindruck bekam, als würden sich seine Augen mit Tränen füllen. »Der Brief stammt aus Hongkong und von einem Menschen, den ich gut kenne.«
    »Shao?«
    »Nein, John, sie hat ihn nicht geschrieben. Jemand anderer, und zwar mein Vater!«
    Ich saß da, als hätte man meine Oberschenkel auf den Stuhl genagelt. Meine Nasenflügel vibrierten. »Dein… dein Vater? Bist du dir da sicher?«
    »Ja.«
    »Aber das geht nicht, Suko. Dein Vater ist, wie ich weiß, seit einigen Jahren tot.«
    »Eben, John, eben!«
    ***
    Jetzt saß auch ich da und wußte nicht, was ich tun sollte. Lachen, weinen, schreien, stumpf in die Gegend starren, aufstehen und weglaufen? Alles und nichts schoß mir durch den Kopf. Ich starrte Suko an und sah, wie sein Gesicht verschwamm.
    Zwar war ich nicht so geschockt wie er, aber ich kam mir schon vor wie mit einem Hammer malträtiert. Konnte ein Toter noch Briefe schreiben?
    Im Prinzip nicht, aber wir hatten Geisterschreiber erlebt, die Botschaften aus dem Jenseits empfingen und sie genau mit der Schrift niederschrieben, wie sie auch der Tote zu seinen Lebzeiten besessen hatte. Das gab es alles, und nur diese Erklärung wollte ich akzeptieren, vorausgesetzt, der Brief war keine Fälschung, auf die selbst Suko hereinfiel.
    »Sag was, Alter!«
    Mein Freund schüttelte nur den Kopf. Der Inhalt des Briefes hatte ihn dermaßen geschockt, daß es ihm schwerfiel, mit mir darüber zu reden.
    »Es ist alles schlimm«, murmelte er, senkte den Blick und schüttelte den Kopf.
    »Ist der Brief wirklich echt?«
    »Ja.«
    »Was macht dich so sicher, Suko? Kanntest du deine Eltern überhaupt? Du hast mir nie viel über sie erzählt. Du bist in einem Kloster aufgewachsen, in die dich deine Eltern gebracht haben müssen. Stimmt das? Ist das so gewesen?«
    »Ja.«
    »Okay, dann bist du irgendwann nach London gekommen und hast für den Schwarzen Drachen gearbeitet. Ich konnte die Bande zerschlagen, du hast mir dabei geholfen, wir beide verstanden uns auf Anhieb, und du bist später vom Yard übernommen worden.
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