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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt
Autoren: James W. Nichol
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als ob sie ihm eine befriedigende Antwort geben oder gar das schwarze Loch schließen könnten, das sich in ihm auftat. Es war ein Fehler gewesen herzukommen. So mies hatte er sich schon seit Jahren nicht mehr gefühlt. Er kam sich wieder ganz verloren vor.
    Er sah Stewey an. »Keine Ahnung.«
     
    Nach wenigen Minuten hatte Walker die Straße erreicht, nach der er gesucht hatte. Er sah sich die Hausnummern an, damit er in die richtige Richtung lief, und ging auf der Church Street nach Süden zur Jugendherberge. Jetzt kann es nicht mehr lang dauern, dachte er. Wie herrlich würde es sein, sich auf einer Pritsche ausstrecken zu können und ein wenig zu schlafen. Morgen würde er sich eine Wohnung suchen, und einen Job musste er auch finden.
    Es stellte sich heraus, dass die Church Street an einem Sonntagabend um diese Zeit wie ausgestorben war. Er ging an mehreren Pfandleihern mit vergitterten Fenstern vorbei, an einem Laden, der wissen ließ, dass er Schmuck an- und verkaufte, und an einem anderen, hinter dessen staubigen Schaufenstern ein riesiger Stapel gebrauchter Computer zum Verkauf angeboten wurde.
    Zwischen zwei dieser Läden bemerkte er in einem dunklen Eingang ein Pappschild, auf dem in großen roten Buchstaben zu lesen war: »Wohnung zu vermieten«, auf den leeren Platz darunter hatte jemand gekritzelt: »Drinnen nachfragen.«
    Er sah zum ersten Stock des alten Gebäudes über dem Pfandleiher hoch, wo, fast unsichtbar unter einer reichverzierten Dachtraufe aus vermoderndem Holz zwei Fenster lagen. Irgendwo da oben hörte er Tauben gurren, aber sehen konnte er sie nicht, weil es pechschwarz war. Beide Fenster waren dunkel.
    Er sah sich um. Fast genau gegenüber überragte eine wuchtige Kirche die Bäume.
    Ich werde Mom erzählen, dass ich in der Nähe einer Kirche wohne, dachte er und lächelte. Sie war die Kirchgängerin in der Familie.
    Natürlich hatte Mary Louise über seinen Ausflug nach Sudbury letzten Sommer Bescheid gewusst. Sie hatte ihn dazu ermuntert, weil er sehen musste, dass es nichts zu sehen, nichts zu erfahren gab – um das alles hinter sich zu lassen, die High School fertigzumachen, aufs College zu gehen, an die Zukunft zu denken. Und als sie Walker ansah, lag ein Leuchten in ihren ausdrucksvollen grauen Augen. Es spiegelte ihre absolute Gewissheit wider, dass er eine große Zukunft vor sich habe, so als ob sie allein kraft ihres Willens den Schicksalsgöttern alles abringen könne.
    Als er nach Hause gekommen war, hatte er sich an den Küchentisch gesetzt und ihr und der ganzen Familie erzählt, was er und Stewey erlebt hatten, wie er mit Carolyn McEwan seine Akte durchgesehen und an jenem Abend mit Heather Duncan zum Abendessen ausgegangen war.
    Er erzählte ihnen von den Polizeiberichten – dass er, als man ihn auf einer Nebenstraße des Highway 69, etwa fünfzehn Kilometer südlich des French River gefunden hatte, nagelneue Sachen trug, alle mit Etiketten amerikanischer Hersteller. Dass er von sich selbst immer als Walker sprach, und man deshalb annehmen musste, dass Walker sein Vorname war. Dass er, auch wenn er sonst nicht viel sagte, ständig wiederholte, dass seine Mama ihn wieder abholen würde, und nach seinem Papa fragte und in der Nacht ein, zwei Mal etwas rief, das wie »Anna« oder »Nana« klang.
    Was den Brief und das Foto in seiner Tasche anging, stand in den Berichten, dass sich diese beiden Gegenstände trotz intensiver Bemühungen, die Personen zu identifizieren und Mary’s Point zu lokalisieren, als nicht zweckdienlich erwiesen hatten, und dass zwar ein Foto und eine Beschreibung von Walker sowohl in Kanada als auch international in Umlauf gebracht worden, aber keine Anfragen oder Hinweise eingegangen waren.
    »Wir werden diese Akte nicht schließen, aber ich muss leider sagen, dass es über dieses Kind nicht mehr Anhaltspunkte gibt als an dem Tag, an dem es gefunden wurde.« Letzteres stand im Bericht von Inspector John Hayes von der Polizei der Provinz Ontario an den Leiter des Jugendamts Sudbury aus dem Jahre 1983.
    Die Devereaux’ hatten am Küchentisch gesessen, den Brief und das Foto herumgereicht und, wie es Walker schien, immer wieder betreten zu ihm hingesehen. Er wusste, dass er ihnen leid tat und sie sich Sorgen um ihn machten, deshalb sagte er scherzhaft, seine Mutter habe ihn durch göttliche Intervention empfangen, schließlich sei sie erst fünfzehn gewesen. Aber wenn jemand von solch schwer fassbaren Schatten der Vergangenheit verfolgt wurde –
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