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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt
Autoren: James W. Nichol
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auf seinen Rücken gesetzt, ihm Schnee in den Kragen gestopft und fröhlich verkündet, dass er ihm den Schädel einschlagen werde.
    Auf einmal, und Stewey konnte später nicht sagen, wie es zugegangen war, saß nicht mehr er auf diesem mageren Bürschchen mit dem rabenschwarzen Haar, sondern der auf ihm, und eine kleine Faust mit harten Knöcheln raste mit Lichtgeschwindigkeit auf sein Gesicht zu.
    Als das Blut aus Steweys Nase schoss, sprang Walker auf, durchbrach den Kreis der verwunderten Kinder und raste wie ein Juwelendieb die schneebedeckte Straße zurück zum Haus der Devereaux’.
    Zwei Wochen lang stieß Stewey unheilvolle Drohungen aus. Es gab nichts, was er Walker nicht antun würde. Den Schädel würde er ihm mit einem Baseballschläger einschlagen, beide Arme würde er ihm brechen, den Pimmel würde er ihm abschneiden und an Harvey Chesters Hund verfüttern. Aber etwas war dran an der Art, wie Walker einfach weiterging, den schmächtigen Körper locker und doch gespannt wie eine Stahlfeder; und wie er, als Stewey und seine Bande sich vor ihn hinstellten, so dass er nicht vorbeikonnte, nicht an ihnen vorbeischaute, sondern Stewey unverwandt in seine hellblauen Augen sah. Das machte Stewey Angst, aber auch neugierig. Vor allem aber war es das Schweigen, das es ihm angetan hatte, die abgrundtiefe Stille, die Walker zu umhüllen schien, als bewege er sich, ja
sei
eigentlich anderswo, auch wenn er direkt vor einem stand.
    So kam es, dass Stewey eines Tages, statt zu drohen oder den knallharten Burschen zu mimen, einfach »Hi« sagte, was Walker mit »Hi« beantwortete. Ein paar Tage später lehnten sie in der Pause plötzlich nebeneinander an dem alten Bretterzaun. Sie sagten zwar nichts, aber sie rückten auch nicht voneinander ab. Und eines Tages gingen sie gemeinsam nach Hause, und Stewey erzählte Walker, wie sehr er seinen Vater hasste, weil sein Vater eine Freundin in Terrace Bay hatte, und alle Bescheid wussten außer seiner Mutter. Walker nickte und sagte: »Hört sich nicht gut an.« Und sie wurden Freunde.
    Die Person, mit der Heather Duncan telefoniert hatte und die jetzt rasch die Treppe herunterkam, entpuppte sich als die Hüterin der ruhenden Klientenakten im Bezirk Sudbury. Darüber hinaus erwies sie sich als nicht viel älter als Walker und Stewey und Besitzerin langen rötlichen Haares, herrlich runder brauner Augen sowie einer hinreißenden Figur, die in diesem Augenblick gerade in einem blassgelben Hosenanzug Staat machte.
    Steweys sommersprossiges Gesicht und sein knallrotes Haar leuchteten noch eine Spur heller, als er sich Carolyn McEwan als L. H. Stewart, Testpilot und bekannter Philanthrop aus Big River, vorstellte. Sie lächelte sehr nett, lachte beinahe und fragte die beiden, ob sie wohl mit ihr kommen würden.
    »Ich schon«, sagte Stewey.
    Auf dem Weg hinauf in den zweiten Stock wandte sie sich alle paar Stufen zu ihnen um und fragte, wie die Fahrt gewesen sei, wie es in Big River aussehe und ob es diesen Sommer da oben geregnet habe, die Wälder um Sudbury seien nämlich ganz ausgetrocknet.
    Walker war klar, dass sie sich umdrehte, weil sie sich bewusst war, dass zwischendrin zwei Augenpaare wie Laserkanonen auf ihr Hinterteil gerichtet waren, und ihr das unangenehm war. Das machte sie ihm sympathisch. Er zwinkerte Stewey zu, und es wurde ihm etwas leichter ums Herz, seine Beine fühlten sich nicht mehr so hölzern an, und es gelüstete ihn nicht mehr ganz so stark nach der selbstgedrehten Zigarette in seinen feuchten Händen, die er hier drinnen sowieso nicht rauchen konnte.
    Etwas wirklich Wichtiges würde in seiner Akte nicht stehen. Die Polizei hatte monatelang nach seinen Eltern oder sonst jemandem, der ihn kannte, gefahndet. Jahrelang sogar. Zumindest hatte Heather Duncan das behauptet.
    Seine Personenbeschreibung mit Foto war an jede Polizeidienststelle und jede sonst in Frage kommende Behörde in ganz Kanada geschickt worden. Das FBI bekam sie und verteilte sie überall in den Vereinigten Staaten. Soweit er wusste, war sie sogar an Interpol gegangen. Aber nichts war dabei herausgekommen. Kein Mensch suchte verzweifelt oder auch nur halbherzig nach diesem Dreijährigen, der sich selbst Walker nannte, kein sehr wahrscheinlicher Name, und erzählte, dass seine Mama weggegangen sei.
    Carolyn führte sie in ein langes, schmales Büro, in das ein Konferenztisch, acht Holzstühle und fünf Reihen metallener Aktenschränke gerade so hineinpassten.
    »Setzen Sie sich doch«,
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