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Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)

Titel: Ausgegeizt!: Wertvoll ist besser - Das Manufactum-Prinzip (German Edition)
Autoren: Uli Burchardt
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Hawaiihemd, der sich uns Forststudenten als der Revierförster vorgestellt hatte. Es muss ein grausamer Anblick gewesen sein, selbst für ihn, der einen ziemlich hartgesottenen Eindruck machte. Er erzählte seine Geschichte sarkastisch, beinahe zynisch. Und dabei stand er genau dort, wo vor sechs Jahren noch ein Wald und vor fünf Jahren noch dieser See gewesen war. Ja, er stand genau auf dem kleinen Hügel, wo die Mäuse sich auf der Flucht vor den Fluten gesammelt hatten und den Bussarden schutzlos ausgeliefert gewesen waren.
    Fünfzig Jahre ohne Ertrag

    Ein Jahr vor dem Mäusemassaker war sein kompletter Wald in nur wenigen Stunden umgerissen worden, die Bäume entwurzelt, umgeknickt wie Streichhölzer, zu aberwitzigen Gebilden verdreht, durcheinandergewirbelt, verbogen, gespannt, gesplittert. Es war der Februar 1990, als zwei gewaltige Stürme über Deutschland hinwegtobten, die Orkane Vivian und Wiebke. Sie warfen mit bis dahin unvorstellbarer Kraft die Wälder zu Boden, über 70 Millionen Kubikmeter Holz in ganz Deutschland, etwa 2 Millionen Lastzüge voll, eine Lkw-Schlange, die rund um den Äquator reichen würde. Alleine in Bayern wechselten in diesen zwei Tagen 23 Millionen Kubikmeter Holz ihre Position in der Bilanz der Waldeigentümer. Sie verwandelten sich von einem werthaltigen Vorrat schlagartig zu Sturmholz, zu Schadensmasse, zu einem Milliardenschaden.
    Der See, aus dem dieser kleine Hügel geragt hatte, war eigentlich das Forstrevier gewesen. Gut 1500 Hektar groß war es, vergleichbar mit der Größe der Insel Hiddensee. Ein ertragsstarker Standort im bayrischen Schwaben, ein richtiges Top-Revier, das einen Holzzuwachs von rund 30 000 Kubikmeter im Jahr produziert hatte. Das sind je nach Holzpreis etwa 3 Millionen Euro. Aber dann war hier nur noch Wasser, das Revier produzierte gar nichts mehr. Was war geschehen?
    Der Mann im Hawaiihemd erzählte uns, dass sein Wald eine Fichtenmonokultur gewesen war, die er von seinem Vorgänger geerbt hatte. Dieser hatte sie von seinem Vorgänger geerbt, und der hatte die Monokultur wahrscheinlich noch mitbegründet, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in der Blütezeit der sogenannten Bodenreinertragslehre.
    Der Boden war lehmig und nährstoffreich, aber wenig wasserdurchlässig. Wir Studenten wussten längst, was das bedeutete: eine Goldgrube. Hier wächst super Fichtenholz in Massen, hier verdienst du richtig Geld. Aber: Wie überall war auch hier der Fichtenreinbestand völlig instabil gewesen. Und als die Bäume im Orkan umfielen und den Boden nicht mehr durchwurzelten, entstand in kurzer Zeit ein See.
    Der Mann war ausgebildet, einen Wald zu bewirtschaften. Das war es, was er liebte. Aber in diesen verkorksten sechs Jahren war er nur noch Krisenmanager. Zuerst die Sturmholzaufarbeitung: ein lebensgefährlicher Job. Viele Bäume standen so unter Spannung, dass ein Bagger sie festhalten musste, während ein Forstarbeiter sie absägte. Und das tausendfach und in einem völlig undurchdringlichen Verhau. Man kam sich darin vor wie ein Zwerg, sagte er.
    Unser Förster brauchte damals Bagger, ganz schnell viele Bagger, und er brauchte Erntemaschinen und Forstarbeiter. Das war alles schwer zu bekommen, denn die anderen Förster brauchten ja auf einmal auch viele Bagger, Erntemaschinen und Forstarbeiter. Bagger brauchen Sprit, viele Bagger brauchen viel Sprit, also brauchte er Tanklastzüge voll Sprit. Tanklastzüge brauchen Straßen, also musste er Schneisen durch den Verhau schlagen und Forststraßen bauen – und das alles nur, um ausreichend Treibstoff zum Aufräumen ins Sturmholzchaos zu bringen.
    Am Ende des Katastropheneinsatzes, nach Zigtausenden von Arbeitsstunden, nach Hunderttausenden Kubikmetern Sturmholz, nach diesem Millionenschaden, nach all der lebensgefährlichen Arbeit, war da plötzlich der See. Er stand auf der nun geräumten Fläche, nicht tief, aber sehr groß.
    Mit dem See begann der zweite Teil seines ganz persönlichen Horrorstücks. Arbeiter in Tauchanzügen pflanzten mühsam, zum großen Teil im und unter Wasser, neue Bäume. Bäume, die in einigen Jahren den Boden durchwurzeln und dann das Wasser wieder aufnehmen würden, Bäume, die die ganze Fläche langsam wieder in ihren Urzustand versetzen würden, also in einen Wald. Diese Bäume, ein standortgerechter Mischbestand, sind heute eine etwa zwanzig Jahre alte Dickung. In dreißig Jahren, also fünfzig Jahre nach dem Sturm, werden sie vielleicht zum ersten Mal wieder so etwas
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