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Aus Licht gewoben

Aus Licht gewoben

Titel: Aus Licht gewoben
Autoren: A Bracken
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vorbei. Aus dem Tal unter uns waren Rufe zu hören, als das Dorf aus seinem langen, trockenen Schlaf erwachte.
    Henry sah mich lange an. Machte er sich wirklich Sorgen, ich könnte mich verlaufen? Während der Regen den Staub auf seinen Wangen in dunkle Rinnsale verwandelte, sah ich ihn an und lächelte. So war er eben, ein Freund, der sich immer um andere kümmerte.
    »Geh!«, sagte ich und gab ihm einen sanften Schubs. Gleichzeitig drehten wir uns um, er zurück zum Dorf, das durch den strömenden Regen kaum noch zu sehen war. Ich aber machte mich auf den Weg nach oben, zum höchsten Punkt des Canyons.
    Es regnete erst seit knapp einer Minute, und schon hatte sich der Staub in Matsch verwandelt. Der Regen fiel dicht und unablässig, ein Festmahl nach zehnjähriger Hungersnot.
    Selbst als ich über lose Felsbrocken stolperte, hielt ich keinen Moment lang an. Ich wollte zurück ins Dorf, um die
Lieder und Gebete zu hören. Ich wollte das Gesicht meiner Mutter sehen und meinen Vater, auf dessen Schultern nun keine Last mehr liegen würde. Jeder Regentropfen wirbelte ein wenig Staub auf, und noch nie war die Erde so dunkel gewesen wie jetzt. Der aufgesprungene, verdorrte Boden schien unter meinen Füßen dahinzuschmelzen.
    Die Männer aus Saldorra würden vielleicht Augen machen, wenn sie kämen, um ihr Wasser gegen unseren Lehm einzutauschen.
    Der Geruch nach Regen und Staub war so wunderbar, dass einem schwindelig werden konnte, und ich wünschte, ich hätte mir eine Flasche davon abfüllen können. In meinem Kopf entstand bereits eine neue Decke, und ich wusste schon genau, wie ich die Blautöne mit den Brauntönen und dem Silber zusammenbringen würde. Beinahe konnte ich unser Dorf vor mir sehen, grün gesprenkelt. Wir würden nicht mehr jeden Tag so hart arbeiten müssen. Möglichkeiten eröffneten sich, die meine kühnsten Träume überstiegen.
    Mein Korb stand noch genau da, wo ich ihn abgestellt hatte. Dort, wo die Sonne die Wurzeln trocknen konnte, die ich mit Henry und seinen Brüdern gesammelt hatte. Sie waren zwar völlig aufgeweicht, aber das würde meine Mutter kaum stören.
    Ich schlang die Arme um den Korb, drückte ihn fest an meine Brust und atmete tief ein und aus.
    Ich würde noch ein wenig hier oben bleiben, wo nur der Regen mich berühren konnte.
    Die Stimmen, die aus dem Dorf zu mir heraufdrangen, waren immer noch genauso deutlich wie zuvor, obwohl der Regen heftig auf die Felsen prasselte. Doch jetzt lag keine Freude mehr in ihnen, und der Gesang wurde von lauten Rufen verdrängt, die von der anderen Dorfseite kamen.

    Ich wischte mir die nassen Haare aus dem Gesicht und war, den Korb auf der Hüfte aufgestützt, mit drei schnellen Schritten am Felsvorsprung.
    Auf dem Feld unter dem Berg drängten sich Männer und Pferde, Hunderte von ihnen. Von meinem Standpunkt aus waren ihre scharlachroten Uniformen nur verschwommen zu erkennen, eine lange, gewundene Schlange von Männern und Tieren.
    Meine Augen glitten über den blutroten Fluss, der sich den Pass entlangwand. Hinter dem ersten Pulk von Pferden kamen Fuhrwerke, die nun mit den Rädern im gelben Schlamm feststeckten. Die Soldaten dahinter schoben vergeblich, während die Pferde sich abmühten, sie herauszuziehen.
    Sie brachten nicht wie üblich das Wasser für den Handel.
    Als ich einen Schritt zurücktrat, stieß ich gegen etwas Hartes. Eine Hand erstickte meinen erschrockenen Aufschrei, und ich wurde von der Kante fort in Richtung des Felsüberhangs gezogen.
    »Nicht schreien«, sagte eine Stimme neben meinem Ohr. »Ich lasse dich jetzt los, aber bitte schrei nicht, ja?«
    Ich drückte den Korb an mich und nickte.
    Ohne zu zögern, ließ der Mann mich los. Ich fuhr herum und schlug ihm meinen Korb gegen die Schläfe. Er taumelte zurück, doch bevor ich an ihm vorbeirennen konnte, hatte er wieder meinen Arm gepackt, und diesmal war sein Griff nicht mehr so nachgiebig.
    »Was machst du denn hier?«, fragte er. Ich wandte den Blick ab und suchte nach einem Ausweg, einer Möglichkeit, ihn zu überwältigen. Doch das ließ er nicht zu, er zwang mich herum und hielt mich fest. Die Freude, die ich gerade noch gefühlt hatte, war verschwunden, jetzt hatte ich nur noch Angst.
    Der Fremde trug einfache Kleidung, keine Uniform, wie ich
es bei einem Kundschafter Saldorras erwartet hätte. Er sah ungefähr so alt aus wie ich, vielleicht ein paar Jahre älter. Der Regen lief an seiner langen Nase herunter und sammelte sich in seinem ungekämmten dunklen
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