Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman
Autoren: Ulla Hahn
Vom Netzwerk:
Hemd, offener Kragen, die Ärmel lässig gekrempelt, an dünnem Goldkettchen ein Medaillon um den braungebrannten Hals. Gleich würde er eine runde Noppenbürste zwischen Mittel- und Ringfinger halten, mir durch die Haare fahren, wieder und wieder, wie vor Jahren Federico am Rhein.
    »Prego, Signorina«, lächelte er mich mit schönen, starken Zähnen an, dass ich erschreckt zurückwich, worauf er, »piccola Signorina, non paura«, die Lippen noch weiter auseinanderzog und die Hände beschwichtigend auf- und abbewegte.

    »Schoko, Erdbeere und Zitrone«, brachte mich die Stimme des Bruders zurück ins Eiscafé Campi, und ich setzte mich gerade und bestellte meinen ersten italienischen Kaffee: »Un Cappuccio, bitte.« Worauf der Kellner »Grazie, subito« flötete, in einem Ton, als hätte er bei Onkel Lou den Großen Preis gewonnen.
    »Cappuccio?«, forschte Bertram. »Seit wann das denn?«
    »Seit gerade.« Ich schlug die Beine übereinander und streckte sie wieder aus, unter diesem Tisch für alle und jeden. Wie viele vor mir mochten ihre Beine genau so ausgestreckt haben, wie viele nach mir würden es tun. Egal. Jetzt war ich dran. Was ich am Kölner Rhein nicht gefunden hatte, das Gefühl, richtig zu sein, das Gefühl der Großvaterweide, hier im Trubel des Cafés begann ich zu ahnen: Ich würde es wiederfinden. Überall da, wo ich dabei sein konnte, ohne dazugehören zu müssen, mich entscheiden oder beweisen zu müssen.
    Bertram schob den vollen Aschenbecher von sich zu mir herüber, reckte den Hals nach der Eistheke und trommelte ungeduldig auf der Tischplatte. »Prego, Signore, prego, Signorina«, stellte der Kellner Eisbecher und Cappuccio vor uns ab und ließ den vollen Aschenbecher leichthin verschwinden. Signorina. Wie das klang. Hildegard Palm, sogar Hilla Selberschuld gingen in diesem Silbenschmelz unter und erstanden als lockende Schönheit wieder auf. Dazu der bittere heiße Schluck, dieser südlich befeuerte Verwandte von Großmutter- und Tantenkaffee.
    »Was lachs de? Mensch, du lachst ja wieder! Siehs de, der Lachstein wirkt doch noch!« Bertram sah mich forschend an und ruckelte auf seinem Platz hin und her. »Locker«, stellte er fest, »der Sitz hier kippt bald aus der Wand.«
    »Ich denk gerade an die Tante. Wenn die hier einen Kaffee bestellt und einen Cappuccio kriegt. Da wär was los!«
    »Stimmt. Aber das Eis hier. Doch was anderes als in Dondorf.«
    »Willst du noch eins?«

    Bertram hatte die Anzugjacke ausgezogen und die Ärmel seines hellblauen, seines besten Hemdes aufgekrempelt wie unser Kellner. Doch anders als dieser flotte Bursche sah der Bruder unbeholfen und befangen aus. Mit langer Zunge leckte er das spatenförmige Löffelchen ab und schluckte, wobei sein Adamsapfel den dünnen Jungenhals hinauf- und hinabfuhr. Schwer und fremd lag mir der Cappuccio im Magen. Mein Herz klopfte schneller, stolperte. Wenn wir aufbrachen von hier, würde ich den Bruder an den Zug bringen. Bringen müssen.
    »Noch eins? Kannst du dir das denn leisten?« Bertram sah auf die Uhr. »Es wird ja auch schon spät.«
    »Kütt drop an«, erwiderte ich. »›Die Zeit geht nicht, / Sie stehet still, / Wir ziehen durch sie hin; / Sie ist ein Karawanserei, / Wir sind die Pilger drin.‹ Aber du hast recht«, seufzte ich. »Es wird Zeit.«
    »Gut, dass du deine Dichter doch nicht ganz vergessen hast! Vielleicht triffst du ja auch den Godehard noch mal wieder. Hier in Kölle.« Bertram zog sich seine Anzugjacke über. »Mir müsse!«
    »Ach, Bertram«, seufzte ich, »der ist doch sicher längst fertig. In Guatemala oder Andalusien. Steineklopfen.« Aus den Augenwinkeln hatte ich beobachtet, wie die Leute, meist Männer, beide Hände in die Luft hoben, die eine gerade hielten wie eine Tafel, mit der anderen so taten, als schrieben sie darauf, was die Kellner zum Kassieren bewegte. Ich probierte es aus, sehr zum Vergnügen Bertrams; es funktionierte. Wieder zeigte mir der Kellner seine schönen weißen Zähne, und diesmal gab ihm Signorina stud. phil. Hilla Palm sein Lächeln zurück, als stünde es ihr schon zu.
    Draußen schnüffelte Bertram naserümpfend an mir herum; Zigarettenrauch hing uns in Kleidern, Haut und Haaren. Mich trugen der Geruch und der schwarzsüße Cappuccio, trug Signorina, grazie, buona sera, noch ein Stück weit die Hohe Straße hinunter, die nun von Schatten und erster Septemberkühle gefüllt war. Als der Dom vor uns aufwuchs, kroch Hilla Palm
wieder hinterrücks in mich hinein. Ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher