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Aufbruch - Roman

Aufbruch - Roman

Titel: Aufbruch - Roman
Autoren: Ulla Hahn
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Bertram entschieden und deutete auf einen Softeisautomaten, »ein Eis wär mir lieber.«
    »Aber nicht hier«, ich zupfte den Bruder am Ärmel fort, »da weiß ich was Besseres. Komm.«
    »Wohin denn«, maulte Bertram mit verdrossen-sehnsüchtigem Blick auf den Automaten.
    »Lass dich überraschen. Ist nicht weit.«
    Wir gingen den Weg zurück, den wir gekommen waren, Heumarkt, Salzgasse, am Gürzenich vorbei zur Hohe Straße, wo die Menschen sich in einer Schlucht aus Licht und Schatten hinaufund hinunterbewegten. Die einen mit Aktentaschen unterm männlichen Arm, die anderen Einkaufsnetze, Tragetüten von Kaufhof oder C&A in der weiblichen Hand, alle hatten es eilig, nach Hause zu kommen und drängelten durch die träge Menge von Müßiggängern, die schon in Feierabendstimmung vor den Schaufenstern bummelten.
    »Mensch, Meyer!«, feixte Bertram. »Das wär was für die Tante. Die würd hier Dampf machen.«
    »Kütt drop an«, erwiderte ich, »ob sie’s eilig hat oder nicht.«
    »Die steht doch immer unter Strom«, gab Bertram zurück. »Oder hast du die schon mal gemütlich gesehen? So richtig
entspannt.« Bertram knickte in die Knie und machte mit schlackernden Armen ein paar Schritte.
    »Stopp!«, rief ich. »Hier sind wir!«
    »Hier?« Bertram sah sich suchend um. Neben Glockenschuh und Mouson Lavendel ein schwungvoller rosa Neonschriftzug: Campi.
    »Hier«, bestätigte ich und schob mit einer Bewegung, die, wie ich hoffte, weltstädtisch und gelassen aussah, den Bambusvorhang hinter der offenen Glastür beiseite. Immer wieder hatte ich den Namen dieses Eiscafés aufgeschnappt, wenn Kommilitonen sich verabredeten.
    Bertram pfiff anerkennend durch die Zähne. »Sieht aus wie in Italien.«
    »Woher willst du das denn wissen?«
    »Glotze«, sagte Bertram übermütig. »Was denkst du denn?«
    Ein schmaler, langer Raum, Eistheke vorn und blitzende Espressomaschinen, an der Wand entlang eine Bank, davor winzige runde Tische mit noch winzigeren plastikrot gepolsterten Stühlchen auf staksigen Chrombeinchen. Tulpenförmige Lampen bildeten zwei schnurgerade Reihen sonnengelber Kreise. Gegenüber der Theke eine Treppe nach oben. Neben der Theke an der Kasse zählte ein drahtiger, braungebrannter Mann mit hoher, starrer Bürstenfrisur Geldscheine. Sein Gesichtsausdruck entrückt und konzentriert.
    Nuss, Vanille, Schoko, Erdbeere, Zitrone, Banane, Krokant. Bertram war vor der Theke stehen geblieben und sah fasziniert zu, wie der braunhäutige Junge, kaum älter als er, die frostig überhauchten Halbkugeln der blanken Eiszange aufschnappen ließ, in eine der Mulden senkte, darin herumrührte und sie, geschlossen und gespickt mit klebrigen Batzen, wieder herauszog. Süßer Überschuss, den er, je nach Lust und Gnade, entweder am Rande der Mulde oder zur Freude des Empfängers auf der Eiswaffel abstrich, bevor er die Zange spreizte, den Inhalt in die Höhlung des knusprigen Tütchens presste und dann Kugel auf Kugel übereinandertürmte. Ab
fünf Kugeln, fünfzig Pfennig, gab es einen Becher mit Plastiklöffel. Zum Mitnehmen.
    »Komm schon«, ich griff Bertrams Hand und zog ihn vorwärts, vorbei an der langen, mit Spiegelglas besetzten Bar; hinten auf der Bank gab es noch zwei freie Plätze. Oben zu sitzen, auch das wusste ich von den Kommilitonen, war etwas für alte Tanten. Das, wofür das Campi berühmt war, die Musik, hörte man am besten hier unten, wo auf einer vorzüglichen HiFi-Anlage der Chef selbst, wenn er nicht gerade Geld zählte, die neuesten Jazz-LPs auflegte. »Softly, as in a morning sunrise«, hüllte uns ein, Kaffeeduft wie nach verkohltem Holz, Nebelbänke von Rauchschwaden, je weiter man in den Schlauch vordrang. Senoussi-Schachteln, Roth-Händle, Gauloises lagen neben übervollen Aschenbechern. Schräg vor uns holte ein Mädchen ein flaches silbernes Etui aus einer weißledernen Handtasche. Kaum hielt sie die Zigarette zwischen Daumen und Zeigefinger, beugte sich ein junger Mann zu ihr herüber und ließ ein goldenes Feuerzeug aufspringen. »Gestatten?«, hörte ich. Das Mädchen lachte und nickte. Genau wie in Fellinis 8 ½ . Die verbrauchte Luft roch nicht länger verraucht; verrucht roch sie, nach Abenteuer und wahrem Leben, dem ich aus sicherer Entfernung zuschauen konnte. Dabei sein, ohne mitzuspielen. Ich streckte die Beine aus. Sah, wie am Nebentisch eine Frau nach dem Kellner winkte und ahmte ihre Geste wie ein Schauspielschüler nach.
    »Prego, Signorina«, tänzelte ein Kellner herbei, weißes
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