Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auf in den Urwald (German Edition)

Auf in den Urwald (German Edition)

Titel: Auf in den Urwald (German Edition)
Autoren: Christian Waluszek
Vom Netzwerk:
gab es bestimmt keine Disco, nur Kühe und Pferde ...
    Edek hatte sich Mitte Januar auf ein Zeitungsinserat gemeldet, das Mirja aufgegeben hatte. Die Geisterbahn musste überholt und für die TÜV-Abnahme fertig gemacht werden, außerdem musste der Betreffende bereit sein, mit auf Reisen zu gehen.
    Edek kam, schaute sich die Geisterbahn an, die zusammengelegt auf einem Tieflader in der Scheune eines Bauern stand, ließ sich dies und jenes erklären und meinte schließlich, das alles sei für ihn kein Problem. Er habe bei seinem Onkel in Texas vom kleinen Rasenmäher bis zu großen Erntemaschinen alles repariert, einmal sogar einen Hubschrauber. Auf Reisen ginge er auch, die Arbeit auf dem Autoschrottplatz, wo er gerade aushelfe, sei ihm sowieso zu langweilig. Seinetwegen könne er sofort anfangen.
    Das war Mirja sehr recht. Normalerweise blieb mindestens einer der Mitfahrenden über den Winter bei ihnen und half bei den ziemlich aufwendigen Reparaturarbeiten. Aber in diesem Jahr war alles schiefgelaufen, eben deshalb, weil Vater sich um nichts gekümmert hatte.
    Es zeigte sich schnell, dass Edek – er hieß eigentlich Eduard Ostermann, mochte aber bei seinem vollen Vornamen nicht genannt werden –, ein wirklicher Glücksgriff war. Er bastelte an der Geisterbahn von früh bis abends, man musste ihn beinahe davon abhalten, dass er noch nachts weitermachte. Und er erzählte. Er erzählte von seinen Abenteuern, die er überall in der Welt erlebt hatte. Über die tschechische Grenze hatte er in Polen Gold geschmuggelt, wurde verhaftet und konnte fliehen. Bei seinem Onkel auf der Ranch war er nur ganz knapp einem Flugzeugabsturz entkommen, indem er selber zum Steuerknüppel gegriffen hatte. Auf einer Landstraße in Texas hatte er sich mit Polizisten ein heißes Wagenrennen geliefert, denn Edeks Traum war, Rallyefahrer zu werden, und er ließ sich grundsätzlich von niemandem überholen.
    Was Mirja von all den Geschichten halten sollte, wusste sie nicht so recht. Fest stand nur, dass Edeks ziemlich alte Eltern erst vor anderthalb Jahren ihren Bauernhof in einem ehemals oberschlesischen Dorf in Polen verlassen hatten und nach Deutschland übergesiedelt waren. Und fest stand auch, dass Edek 25.000 Euro Schulden bei einer Bank hatte, die ihm nach und nach vom Lohn gepfändet wurden. Er hatte sich vor gut einem Jahr einen schnellen Wagen gekauft und ihn schon zwei Wochen später zu Schrott gefahren.
    Und da war er auch schon wieder von seiner Kontrollfahrt zurück.
    »Alles in Ordnung?«, wollte Mirja wissen.
    »Muss in Ordnung sein«, sagte Edek so locker, wie nur er es konnte.
    »Gut, dann mach du eine Weile die Kasse, ich muss mal eben dringend.«
    Sie wechselten die Plätze. Edek konnte man vertrauen, an die Kasse ging er nicht ran. Mirja lief rasch hinter die Geisterbahn zum Wohnwagen, riss die Tür auf und blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Vater lag auf dem Tisch, neben sich die leere Schnapsflasche. Im Wagen roch es nach Alkohol und kaltem Zigarrenrauch.
    »Das darf doch nicht wahr sein!«, sagte Mirja wütend. Sie ging zum Tisch und versuchte, ihren Vater wach zu rütteln. Vergeblich, er war zu betrunken und lallte nur, sie solle ihn in Ruhe lassen.
    Jeschke war wieder da gewesen. Jeschke, dieser eklige Kerl, der Mirja einmal am Kinn angefasst und gesagt hatte: »Schönes Kind!« Und der Vater letztes Jahr Geld geliehen hatte. Als Freund und Geschäftsnachbar von der Kirmes. »Weil einem ja sonst keiner hilft.«
     

· 3 ·
     
    W ilfried war schon seit gut zwei Stunden auf der Kirmes. Er war die Straße einfach entlanggegangen und auf der Theresienwiese angekommen, wo das Frühlingsfest stattfand. Auf einer Kirmes war Wilfried noch nie gewesen. Als Kind hatte er sich meistens bei seinem Vater im Labor aufgehalten und Pflanzen gezüchtet. Oder er hatte in dicken Büchern geblättert und schöne, fremd klingende Pflanzennamen gelesen. Die hatte er sich fast alle gemerkt, das konnte er einfach so. Aber dass es so etwas wie eine Kirmes gab, hatte ihm nie jemand erzählt. Wie schade ...
    Deshalb hatte sich Wilfried viel Zeit genommen. Er hatte vor jeder Vergnügung und jeder Bude lange gestanden, sie ausgiebig bestaunt und oft vor Verwunderung den Kopf geschüttelt. Jetzt aber war er vor einem Spaß angekommen, der ihn vollends gefangen genommen hatte. Auf einem großen Stand – »Geisterbahn« leuchtete es in schönen flirrenden und tanzenden Buchstaben von einer Tafel – gab es nämlich oben einen riesigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher