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Auf in den Urwald (German Edition)

Auf in den Urwald (German Edition)

Titel: Auf in den Urwald (German Edition)
Autoren: Christian Waluszek
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fest, dass die Tür immer noch sperrangelweit offen stand. Er stieg die vier Stufen hoch, überquerte den Rasen, wandte sich nach links und entdeckte bald in der Mauer ein kleines Eisentor. Es war zwar verschlossen, konnte aber seinen prankenartigen Händen nicht sehr lange widerstehen. Die Torangeln ächzten in den Scharnieren, Kalk rieselte aus den Steinen, dann war der Weg frei. Wilfried duckte sich und verließ den Garten. Das Törchen passte leider nicht mehr in die abgebrochenen Angeln, also lehnte er es so gegen die Mauer, dass es wenigstens halbwegs die Öffnung verdeckte. Dann schaute Wilfried sich um und lächelte zufrieden. Auf der anderen Seite der Mauer verlief eine Straße und er konnte jetzt endlich losgehen.
    Nach einer Weile – es dämmerte schon – kam Wilfried an eine Kreuzung. Er schaute nach rechts und er schaute nach links. Dort ging die Straße leicht bergab und eine dröhnende, seltsame Musik war zu hören. So ähnlich wie früher im Urwald ... Wilfrieds Stirn bekam für einen Augenblick Falten, wie immer, wenn er angestrengt nachdachte. Dann hatte er sich entschieden. »Wilfried geht nach links!«, sagte er zu sich und marschierte munter los.
     

· 2 ·
     
    A lso, Schneider, Sie sollten sich die Sache noch einmal gut überlegen.« Jeschke, ein untersetzter, breitschultriger Mann mit einer klobigen, zerfurchten Nase, wulstigen Lippen und einem breiten Kinn, klappte das silberne Zigarrenetui, eine Sonderanfertigung mit einem kleinen Brillanten, zusammen und stand auf.
    »Ich schaue wieder vorbei, sagen wir am Sonntag, bevor hier alles abgebaut wird. Es drängt jetzt ein bisschen, ich hab’s Ihnen ja erklärt.« Jeschke ließ das Etui in die Innentasche seines Jacketts gleiten. »Im Grunde wird es dann für alle besser. Für Sie« – ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel – »und für mich auch, versteht sich.« Jeschke zog an der Zigarre, blies den Rauch in Richtung des Tisches, an dem Schneider saß, und schaute sich noch einmal in dem Wohnwagen um. »Gemütlich haben Sie es hier, Schneider. Und grüßen Sie mir Ihre Kleine! Hab Sie vorne in der Kasse gesehen. Ist ein hübsches Ding geworden. Ihrer Frau wie aus dem Gesicht geschnitten.« Jeschke wurde ernst. »Gott hab sie selig, ist ja bald ein Jahr her oder so ...«
    Er räusperte sich, da der Angesprochene ihn nur schweigend anschaute. Schon die ganze Zeit.
    »Also, dann ...« Jeschke hob noch einmal die Hand zum Gruß, öffnete die Tür des Wohnwagens und ging.
    Richard Schneider, ein hagerer Mann mit schütterem Haar und eingefallenen Wangen, saß noch eine Weile regungslos da. Dann erhob er sich von seinem Stuhl und ging zum Kühlschrank.
    »Ja, es wird so besser sein«, sagte er verbittert zu sich, als er sich mit einer Flasche Schnaps in der Hand wieder an den Tisch gesetzt hatte. Er griff hinter sich in den Schrank, holte dort ein großes Glas heraus und schüttete es voll. Mit einem einzigen Zug trank er es leer.
    Ein kalter Windstoß fuhr in den Wagen. Jeschke hatte die Tür nicht richtig geschlossen und sie war wegen der leichten Neigung des Wagens von allein aufgegangen. Durch das Halbrund der Türöffnung konnte man hoch oben auf der Geisterbahn die riesige, von Scheinwerfern angestrahlte Gestalt des Monster-Affen sehen. Er hob drohend seine Arme und brüllte. Aus dem Inneren der Geisterbahn drangen – verstärkt durch Lautsprecher – dumpfe Schreie nach draußen und vermischten sich mit dem nervenzerreißenden Heulen von Alarmsirenen. Laute Musik dröhnte von überall her, Lichterketten rasten und blitzten. Es war Freitagabend und die Kirmesveranstaltung auf dem Frühlingsfest in München ging auf ihren Höhepunkt zu.
    Schneider trank noch ein Glas Schnaps. »Am Sonntag ist es vorbei«, sagte er zu sich. »Jeschke soll die Geisterbahn haben, es ist eh nicht zu schaffen ...« Das Brüllen des Monster-Affen und das Dröhnen der Musik schienen ihm jetzt unerträglich laut. Früher hatte ihm der Lärm nichts ausgemacht. Wenn es darauf ankam, hatte er sogar dabei schlafen können. Nur seit dem letzten Jahr war alles anders.
    Richard Schneider stand auf und schloss die Tür. Aber der Lärm drang immer noch durch die dünnen Wände des Wohnwagens auf ihn ein. Da half es auch nicht, dass er seine Fäuste gegen die Ohren stemmte. Es war, als lärmte die Kirmes mitten in seinem Kopf.
     
    »Dreimal, bitte.«
    »10 Euro 50!«
    Der Fahrgast, ein Vater, der mit seinen beiden Kindern gekommen war, kramte umständlich in
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