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Auf einmal ist Hoffnung

Titel: Auf einmal ist Hoffnung
Autoren: Burk Michael
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Gehsteig rollen. Vacas sah gedankenversunken der Büchse nach, zog sich im Gehen sein Jackett aus und hängte es sich über die Schulter.
    Bevor er das früher einmal feudale, im Zuckerbäckerstil erbaute Havanna Riviera Hotel erreichte, das wie alle Hotels nun dem Staat gehörte und zur Zeit vom Gewerkschaftsbund verwaltet und belegt wurde, wechselte er die Straßenseite. Er wollte nicht erkannt werden. Ein scheinbar interessierter, dem Hotel abgewandter Blick auf das Meer hinaus, und er hatte das Havanna Riviera hinter sich. Der überlebensgroßen Plakatwand, die selbst die hohen Palmen überragte und, wie im farbigen Negativverfahren, die Köpfe von Lenin, Marx, Ho Chi Minh und anderen kommunistischen Größen zeigte, schenkte er keine Beachtung. Er war mit seinen Gedanken schon bei der bevorstehenden geheimen Unterredung und bei seinem Gesprächspartner Roberto Rocha, der zu den anerkanntesten Ärzten des Landes zählte.
    Roberto Rocha war aber nicht nur in seinem Beruf eine Ausnahmeerscheinung. Der hochgewachsene, hellhäutige Mediziner genoß auch die unverhüllte Sympathie der schönsten Frauen, was in Vacas seit jeher eifersüchtige Regungen erweckte. Heute aber versuchte er diese Gefühle zu unterdrücken.
    Roberto Rocha hatte sich verhältnismäßig spät zur Revolution bekannt. Als dritter und jüngster Sohn einer sehr reichen Familie, die ihr Vermögen hauptsächlich durch das Zuckergeschäft erwarb, hatte er eine umfassende internationale Erziehung genossen. Zwei Jahre in einem Internat in der Schweiz, zwei Jahre in England, Medical School an der New York University, anschließend in Stanford, Kalifornien, eine Zeitlang Schüler von De Bakey, dem Herzspezialisten: all das hatte sein Wissen und seine Weltanschauung geprägt.
    Als er nach Havanna zurückkehrte, war er fertiger Arzt, sprach vier Sprachen perfekt – Spanisch, Portugiesisch, Englisch, Französisch – und zählte zu den typischen Vertretern der Bourgeoisie.
    Doch dann hatte er seine Weltanschauung schlagartig einer Korrektur unterzogen.
    Noch Jahre später erzählte Roberto Rocha im neuen Freundeskreis oft, wer für ihn letzten Endes den Ausschlag gegeben hatte, sich der Revolution anzuschließen: sein Vater.
    Die Rocha-Estancia hatte gut dreihundert Hektar Land umfaßt, auf dem Zuckerrohrstauden standen. Noch im Halbdunkel des heraufziehenden Morgens, werktags wie sonntags, begann für die einhundertfünfzig Plantagenarbeiter der harte Arbeitstag.
    In schleppender Eintönigkeit mußten die Frauen mit ihren Sicheln die trockenen Blätter von den baumhohen Stauden schlagen. Ihnen folgten die Männer, in ihren zerschundenen Händen die Messer. Sie hieben mit jeweils drei geübten Schlägen eine Schneise durch den schier undurchdringlichen Wall der Stauden, so daß von einer Pflanze nur noch zwei Stämme übrigblieben, die das teigige, weiße Mark enthielten, aus dem der Rohrzucker gewonnen wurde.
    Es galt, die Rohre so tief wie möglich abzuschlagen, um die Ernte voll auszuwerten und nicht den Zorn des Oberaufsehers heraufzubeschwören.
    Der nächste Trupp mußte die abgehauenen Rohre auf Lastwagen abtransportieren. Das geschah ebenfalls in einem ständig gleichbleibenden, stumpfsinnigen Rhythmus, der einer Sklavenarbeit gleichkam: den Oberkörper nach unten beugen, um einen Armvoll Rohre aufzunehmen, das Bündel mit einer geschickten Bewegung auf die Hüfte und von dort, in der gleichen Bewegung, auf die Schulter hochreißen, mit der schweren Last zum Wagen stapfen, dort aufladen.
    Als Roberto Rocha seinem Vater vorschlug, den Arbeitern ihre Tätigkeit durch Erntemaschinen ein wenig zu erleichtern und die Arbeit rationeller zu gestalten, hatte der alte Patriarch nur großspurig in die Ferne auf zwei Türme seiner Zuckermühlen gedeutet und ihn ausgelacht. »Der Hurrican im vergangenen März ist gegen die Arbeiter gewesen.«
    Diese Begegnung hatte Roberto Rochas weiteres Leben bestimmt. Er fühlte auf einmal mit den Arbeitern. Sein Vater ließ das nicht gelten. Nach einer lautstarken und unschönen Auseinandersetzung der beiden Männer schloß sich Roberto Rocha spontan der revolutionären Bewegung unter Fidel Castro an.
    Wenig später war Cuba in Castros Hand. Die reichen Grund- und Fabrikbesitzer, darunter auch Robertos Familie, wurden enteignet. Ihre Villen in den feudalen Stadtteilen Miramar und Laguitos fielen dem Staat zu. Von da an lebten Studenten in ihnen, Mitglieder des Frauenverbandes, der Arbeitervereinigung und anderer
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