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Auf einmal ist Hoffnung

Titel: Auf einmal ist Hoffnung
Autoren: Burk Michael
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einer Digitaluhr, die nicht mehr funktionierte, bunten Kreidestiften, einer Dose mit Keksen, einer Lupe und natürlich auch einem Telefon. An den Wänden hingen vergilbte Plakate, in Glas gerahmte Tanzdiplome, alte Fotos von berühmten Tänzern.
    Igor saß am Tisch, auf dem einzigen Stuhl im Raum. Als Jennifer eintrat, dachte sie wie schon so oft: Niemand sieht dem schlanken, markanten Mann seine fünfundsechzig Jahre an. Selbst das graue Haar deutete nicht darauf hin. Nur wenn er seinen Stock benutzen mußte, um sich schnell vorwärts zu bewegen, spürte man vielleicht, daß er nicht mehr zu den Jungen zählte.
    »Hi.« Er hob kaum den Blick und tat, als sei er in die ›Variety‹ vertieft.
    Seine Reaktion verhieß nichts Gutes, Jennifer kannte ihn zur Genüge.
    »Du willst mich sprechen?« Ihre Stimme klang klar.
    »Du warst hinter meinem Rücken tätig«, sagte er hart, mit seinem rauhen, russischen Akzent, und sah noch immer in die Zeitung.
    »Du warst gestern nachmittag nicht da, als der Aushang angebracht wurde«, verteidigte sie sich.
    Er hob erstaunt den Blick, als sei ihm ihre Antwort unverständlich. »Du erreichst mich doch auch sonst immer.« Es war eine scharfe Kritik. Als sie nichts entgegnete, schlug er mit der flachen Hand ärgerlich auf den Tisch. »Du gehst nicht zu dieser Audition!«
    Sie hatte ihn derart erbost noch nie erlebt und war einen Augenblick lang konsterniert. Sie konnte es sich nicht erklären, warum er ihr so strikt verbot, sich am Vortanzen für die Metropolitan Opera zu beteiligen, und sagte: »So eine Chance bietet die Met nicht alle Tage.«
    Seine Augen wurden schmal. Er hob die Stimme an und sagte gefährlich breit: »Es ist mein letztes Wort!« Dann blätterte er in der Zeitung weiter. Für ihn war das Gespräch zu Ende.

4
    Annähernd zur selben Zeit, als im herbstlich kühlen New York Jennifer Kahn die unerfreuliche Aussprache mit Igor Negolescu hatte, trafen sich auf Cuba, bei angenehm warmem Wetter, zwei Männer zu einem geheimen Gespräch.
    Der Mann, der diese Unterredung herbeigeführt hatte, war ein von Ehrgeiz besessener ehemaliger Lehrer, der es, nach Batistas Sturz, unter Fidel Castro bis zum Vorsitzenden aller ›Poder Popular‹ gebracht hatte. Jeder Wohnblock, jede Dorfgemeinschaft, wählte alle zwei Jahre einen Vertreter für das ›Komitee zur Verteidigung der Revolution‹, dem CDR, dessen Aufgabe es war, für Recht und Ordnung innerhalb seines Bezirkes zu sorgen. Aus all diesen Vertretern wählte man ein siebenköpfiges Exekutivkomitee des ›Poder Popular‹, aus dessen Mitte wiederum der Präsident bestimmt wurde. In seinen Händen vereinigten sich sehr viel Macht und Einfluß.
    Der Kampfbund der Jungen Kommunisten, der Universitäts-Studentenverband und die Cubanische Arbeitervereinigung waren die Stationen seiner Karriere gewesen, bis man ihn in Havanna zum Koordinator einer ›Zona‹ des ›Komitees zur Verteidigung der Revolution‹ ernannt hatte. Seit einem Jahr stand er nun allen ›Poder Popular‹ der Stadt vor. Sein Ziel aber war ein Ministeramt, wenn möglich sogar das für den Außenhandel. Darauf arbeitete er unbeirrt hin.
    Er war kein Mann, der besonderes Aufsehen erregte, weder vom Äußeren her – er war untersetzt, dicklich, hatte schmale Augen, einen Strich von einem Schnurrbart, und auch seine hellbraune Hautfarbe war in diesem Land gewöhnlich –, noch konnte man sagen, daß er sich mit seinen Aktivitäten eindrucksvoll in den Vordergrund schob. Er gehörte zu den Stillen der Revolution, zu den Besessenen, die keine großen Reden führten, sondern die Probleme mit harter Arbeit lösten.
    Er hieß Telesphoro Vacas. Er war in der Provinz Oriente geboren und aufgewachsen, deren Bewohner von jeher als die verbissensten Revolutionäre des Landes galten. Von Oriente aus hatte Fidel Castro, in der Sierra Maestra, seinen Freiheitskampf gegen Batista geleitet.
    Telesphoro Vacas verzichtete an diesem Morgen bewußt auf Wagen und Chauffeur. Er wollte nicht das geringste Aufsehen erregen. Zu Fuß ging er den Paseo del Prado hinunter, die Promenade, die einmal als lebensfroheste Zeile Lateinamerikas gegolten hatte. Es war nicht allzuviel Verkehr um diese frühe Vormittagszeit, ein argentinischer Ford Falcon der Regierung, ein paar Lastwagen, ein staatliches Taxi der sowjetischen Marke Zhugulin-Fiat, ein paar Radfahrer, wenige Fußgänger.
    Ein sanfter, warmer Wind bewegte die Blätter der Palmen und ließ eine leere Konservenbüchse über den
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