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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Autoren: Lydia Benecke
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anwendet, um ihr Vertrauen zu gewinnen.
    Plötzlich bleibt er vor einem Haus stehen und sagt: »Hier wohne ich.« Dann fügt er ganz selbstverständlich hinzu: »Ich würde dich unglaublich gerne fotografieren.« Alice wird misstrauisch, denn sie hält sich nicht für eine besondere Schönheit. Rodney bemerkt dies sofort und hat gleich eine schlüssige Erklärung für seinen Wunsch. Er sagt, dass er das farbliche Zusammenspiel ihrer roten Haare mit den leuchtend roten Knöpfen ihres schwarzen Regenmantels vor dem momentan herrschenden Nebel für ein sehr gutes Fotomotiv hält. Inzwischen weiß er, dass Alice selbst begeistert malt und dieses Argument ihr aus künstlerischer Sicht vollkommen schlüssig erscheint. Dennoch bleibt Alice unsicher, sodass er ihr vorschlägt, sie müsse ihn ja nicht in seine Wohnung begleiten. Ein solches Bild ließe sich sehr gut auf dem Dach seines Hauses machen. Das scheint ihr eine gute Lösung zu sein, denn dort fühlt sie sich sicher. Einer der Hausbewohner wird sicher hören, sollte sie um Hilfe rufen, also schätzt sie die Gefahr nicht allzu groß ein.
    Während Rodney die Fotos mit ihr auf dem Dach macht, verwickelt er sie immer weiter in freundliche, interessante Gespräche. Als alles vorbei ist, empfindet Alice ihn als vollkommen harmlosen, sympathischen jungen Studenten, dem sie nichts Böses zutraut. So folgt sie ihm schließlich auch in sein Apartment, eine typisch unaufgeräumte Studentenbude, in der zwischen vielen anderen Dingen einige Frauenkleidungsstücke herumliegen. Er zeigt ihr einen seidenen Kimono und fragt: »Würdest du den anziehen?« Alice ist verunsichert und kichert nur. Rodney drängt sie nicht weiter und reicht ihr stattdessen einen Stapel Fotos, wobei er erklärt: »Das sind meine Arbeiten.« Dann verschwindet er ins Bad und lässt Alice die Fotos betrachten.
    Die 13-Jährige ist schockiert, denn was sie sieht, sind Fotos nackter, junger Frauen in sexuellen Posen und bei sexuellen Handlungen. Sie bekommt Angst und versucht zur Wohnungstür hinauszurennen, doch die ist verschlossen. Rodney kommt nackt aus dem Bad, er hat eine Erektion. Alice schreit, er solle sie rauslassen, sie schafft es, die Tür aufzubekommen und durch das Treppenhaus zu fliehen. Was sie dann tut, schockiert sie auch über vierzig Jahre später noch in ihrer Erinnerung. Während sie durchs Treppenhaus rennt, fällt ihr ein, dass sie das eben gekaufte philosophische Buch in Rodneys Wohnung hat liegen lassen. Sie rennt wieder hoch, hämmert an die Tür und ruft: »Mein Buch, bitte!« Rodney öffnet, reicht Alice das Buch, bleibt in der Tür stehen, während sie schon wieder nach unten hastet, und ruft ihr bettelnd hinterher: »Lass mich nur masturbieren!«
    Alice ist so schockiert und durcheinander, dass sie über den Vorfall nur mit ihrem älteren Bruder am Telefon spricht. Sie versucht alles zu verharmlosen und sagt, das sei wohl »einfach ein Perverser« gewesen. Ihr Bruder bleibt gelassen und rät ihr, bloß nichts davon ihrer Mutter zu erzählen. Den Mann anzuzeigen, kommt Alice nie in den Sinn, sie macht die Sache mit sich selbst aus. Über vierzig Jahre später sieht sie sein Gesicht wieder: In den Nachrichten, wo über seinen Prozess als angeblicher Serienmörder berichtet wird. Erst da begreift sie, welch unglaublich großes Glück sie hatte.
Ein Koffer voller Masken
    Niemand weiß, wie viele Frauen Rodney während dieser Zeit in seine Wohnung lockt und wie viele von ihnen er mit Überredungskunst oder Gewalt dazu bringt, seine sexuellen Wünsche zu erfüllen. Jene, bei denen mehr als Worte nötig sind, werden wie Alice aus Entsetzen und Scham keine Anzeige erstatten. Drei Jahre lang lebt er so unentdeckt im New Yorker Künstlerviertel, schließt sein Kunststudium erfolgreich ab und betreut während der Semesterferien weiter die Mädchen des Sommerlagers in New Hampshire, als ihr Kunst- und Schauspiellehrer.
    Doch seine sexuellen Abenteuer mit jungen Frauen und minderjährigen Mädchen reichen ihm irgendwann nicht mehr. In Los Angeles ist er mit der Vergewaltigung und dem versuchten Mord an der achtjährigen Tali nur um Haaresbreite davongekommen. Dieses Erlebnis schreckt ihn hinreichend ab, um sich einige Jahre zurückzuhalten und keinen weiteren Mordversuch zu begehen. Rodneys ultimative sexuelle Phantasie geht jedoch weit über das hinaus, was er mit seinen Fotomodellen tut. Einen wirklichen sexuellen Kick verschafft ihm nur die ultimative Macht: das Töten.
    Am 12. Juni 1971
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