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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Autoren: Lydia Benecke
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den Schatten stellen und das Herz der Dame im Sturm erobern.
    Die Show wird zu Rodneys persönlicher Bühne, auf der sein Stück genau so aufgeführt wird, wie er es will. Da ist er sich sicher, denn er weiß, was er kann. Er versteht die »Spielregeln«, nach denen sich normale Menschen verhalten, und benutzt sie, um andere zu beeinflussen. Ihm ist klar, wie er sich verhalten muss, um in einem anderen Menschen ein bestimmtes Gefühl zu erzeugen. Dieses Gefühl bestimmt mit darüber, wie sich dieser Mensch verhalten wird. So bringt Rodney Menschen oft dazu, das zu tun, was er will.
    Ein weiterer großer Vorteil dabei ist, dass die meisten normalen Menschen noch nie darüber nachgedacht haben, dass es diese Spielregeln überhaupt gibt. Deshalb können sie gar nicht bemerken, wie gezielt er mit ihnen spielt. Weil sie normal sind, kommen sie gar nicht auf den Gedanken, dass eine kleine Anzahl von Menschen nach völlig anderen Spielregeln funktioniert. Rodney ist einer dieser »anderen« Menschen – er ist Psychopath.
    Seine Welt ist völlig anders als die normaler Menschen. Er fühlt, denkt und handelt nicht wie sie. Wie alle Psychopathen hat er schon als Kind gemerkt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Psychopathische Kinder erleben, dass alle anderen anscheinend nach denselben »Regeln« fühlen, denken und handeln – nur sie selbst nicht. Doch sie merken auch früh, dass es besser für sie ist, so zu tun, als würden diese Regeln auch für sie gelten. Je älter sie werden, desto besser können sie ihren Mitmenschen die Rolle vorspielen, die ihnen gerade nützlich ist. Sie werden zu immer besseren Schauspielern und können ihr wahres Inneres zunehmend verbergen.
    Hinter den Kulissen wird Rodney, für alle völlig überraschend, ein anderer Mensch, da zeigt er bewusst den »wahren« Rodney. Ihm ist klar, wie der »wahre« Rodney auf andere Menschen wirkt: unangenehm und abschreckend. Denn dieser Rodney sieht und empfindet andere Menschen nur als Dinge. Dinge, die ihm entweder nutzen oder schaden oder ihm egal sind. Während der Show geht es ihm nicht darum, Cheryl als einzelne Person für sich zu gewinnen. Er will die vielen Zuschauer beeindrucken und sich damit beweisen, dass er Millionen von Menschen täuschen kann. Dass sie ihm seine Show als strahlender Traumprinz abkaufen und in ihm den verdienten Sieger sehen.
    Dieses Ziel hat er erreicht, als er mit Cheryl die Bühne verlässt. Ab diesem Moment ist sie ihm egal, ebenso wie ihm seine Mitbewerber vor der Show höchstens lästig waren. Er hat auf ganzer Linie gewonnen. Daher hat er keinen guten Grund, weiter seine charmante Maske zu tragen. Cheryl interessiert ihn weder menschlich noch sexuell. Schließlich kann er sie nicht vergewaltigen oder töten, ohne dass die Ermittlungen nach dieser Show zu ihm führen würden. Sie war nur die Trophäe, die er von der Bühne tragen wollte – mehr nicht.
    Rodney hat allerdings noch einen weiteren Grund, hinter der Bühne sein wahres Gesicht zu zeigen: Damit kann er sich selbst noch mehr beweisen, wie viel Macht er wirklich hat. Denn Macht ist jedem Psychopathen extrem wichtig. Macht über andere Menschen zu haben bedeutet, sie wie Marionetten steuern zu können. Damit beweist sich der Psychopath, dass er ihnen überlegen ist.
    Rodney weiß, wie sehr er die anderen verstört, wenn er hinter den Kulissen seine Maske ablegt, wenn er plötzlich ohne jeden Grund bösartig und rücksichtslos auftritt, wo er sich doch gerade noch freundlich und humorvoll gab. Normale Menschen haben für eine solch plötzliche, grundlose Veränderung keine Erklärung. Es wirkt einfach gruselig auf sie und schüchtert sie ein. Genau dies will Rodney erreichen. Für ihn ist es das Dessert nach dem Hauptgericht.
    Rodney will bei den anderen schlechte Gefühle hinterlassen – was diesen Abend, vor allem aber seine Person angeht. Sie sollen ihn nie vergessen und sich für immer vor ihm fürchten, ohne je zu verstehen, wie eine solch krasse »Verwandlung« möglich ist. Indem er ihnen auf diese Weise in Erinnerung bleibt, beeinflusst er sie für den Rest ihres Lebens, wie sein Mitkandidat Mills 32 Jahre später in einem Interview bestätigt:
    »Damals bin ich Teil eines Albtraums geworden … Je mehr Zeit vergangen ist, umso unheimlicher wird mir die Sache, denn sie sickert langsam immer weiter in mich ein. Was dieser Kerl getan hat, ist schwer auszudrücken. Er verfolgt mich irgendwie ein wenig. Wenn ich nur darüber rede, zieht sich mir der Magen
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