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Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen

Titel: Auf duennem Eis - die Psychologie des Boesen
Autoren: Lydia Benecke
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Menschen gerne Bücher lesen und Filme anschauen, in denen psychopathische Mörder ihr Unwesen treiben? Woher rührt die Faszination? Inwieweit identifiziert sich der Zuschauer oder Leser mit dem Anti-Helden? Und: Was sind das für Autoren, die sich so etwas ausdenken und denen es auch noch Spaß macht, ihre Figuren sich austoben zu lassen?«
    Anders gesagt – tragen wir nicht alle die Anlagen zum Psychopathen in uns? Mit dieser Frage möchte ich den Vorhang zur Bühne des Bösen aufziehen.

KAPITEL 1
EIN TÖDLICHER TRAUMPRINZ
    Süße Träume sind daraus gemacht.
    Wer bin ich, dem zu widersprechen?
    Bereise die Welt und die sieben Meere.
    Jeder ist auf der Suche nach etwas.

    (Sweet Dreams, Eurythmics)
    Cheryl Bradshaw ist eine junge, gutaussehende Schauspiellehrerin auf der Suche nach der großen Liebe. Sie weiß sich darzustellen, ist selbstbewusst, humorvoll und redegewandt. 1978 bewirbt sie sich als Kandidatin für eine Fernsehsendung. Vielleicht kann sie dort den Mann ihrer Träume treffen. Dies hofft sie zumindest, als sie gutgelaunt, mit einem strahlenden Lächeln, die Showbühne betritt. Die Sendung, für die sie sich beworben hat, ist zu dieser Zeit eine der bekanntesten in den USA (eine deutsche Version wird später unter dem Titel »Herzblatt« populär). Der Titel »The Dating Game« verrät auf den ersten Blick, worum es geht: Die Sendung ist ein Spiel mit Gefühlen, in dem Selbstdarstellung und Schlagfertigkeit alles entscheiden. Drei Männer werben um Cheryls Gunst. Cheryl kennt keinen von ihnen, weiß nicht, wie sie aussehen, wie alt sie sind, was sie beruflich machen oder wie sie heißen. Die Männer sitzen hinter einem Sichtschutz, unsichtbar für Cheryl. Allein mit Worten versucht jeder von ihnen, die junge Frau für sich zu gewinnen.
    Kandidat Nummer eins ist der 35-jährige Rodney Alcala. Der Moderator stellt ihn den Zuschauern vor, ohne dass Cheryl es hören kann: »Er ist ein erfolgreicher Fotograf, der mit dreizehn seine Fotoleidenschaft entdeckte, als sein Vater ihn in der Dunkelkammer antraf – voll entwickelt.« Diesem doppeldeutigen Wortwitz fügt der Moderator hinzu: »In seiner Freizeit ist er Fallschirmspringer und fährt gerne Motorrad.« Schon diese Beschreibung lässt viele Frauenherzen im Publikum höherschlagen. Hinzu kommt sein sympathisches Äußeres, das Cheryl vorerst noch verborgen bleibt: Rodney ist ein attraktiver Latino-Typ. Sein Lächeln ist mindestens ebenso strahlend und freundlich wie das von Cheryl. Und er lächelt viel, wobei seine Augen fröhlich, geradezu kindlich unschuldig strahlen. Gekleidet ist er in einen modischen, dunkelbraunen Anzug. Das weiße Hemd darunter hat er betont weit aufgeknöpft. Sein langes, dichtes, leicht gelocktes Haar ist fast schwarz. Es fällt offen hinter die Schultern. Seine beiden Mitbewerber, in hellen Anzügen mit kurz geschnittenen Haaren, wirken blass und dröge neben dem lebhaften Rodney, der die gesamte Show über alle Aufmerksamkeit auf sich zieht.
    Schon der erste Satz, mit dem er sich Cheryl vorstellt, wirkt siegessicher: »Wir werden eine großartige Zeit zusammen haben, Cheryl.« Derart von sich selbst überzeugt beantwortet er auch alle Fragen. »Was ist deine liebste Tageszeit?«, fragt Cheryl verschmitzt lächelnd. Ohne zu zögern, erwidert Rodney: »Die beste Zeit ist bei Nacht, die Nachtzeit.« »Warum findest du das?«, hakt Cheryl nach. »Weil es die einzige Zeit überhaupt ist«, antwortet Rodney geheimnisvoll. »Was hast du gegen den Morgen oder den Nachmittag?«, will Cheryl genauer wissen. »Diese Zeiten sind in Ordnung, aber die Nacht ist die Zeit, wo es wirklich gut wird«, erwidert Rodney.
    Cheryls nächste Frage fordert das schauspielerische Talent ihrer Bewerber heraus. »Ich bin Schauspiellehrerin und möchte jedem von euch eine private Unterrichtsstunde geben«, beginnt sie. An Rodney gewandt spricht sie weiter: »Du spielst einen geilen, alten Bock. Leg los!« Mit lüsternem Gesichtsausdruck und rauchiger Stimme presst Rodney hervor: »Komm hier herüber«, was er mit einem animalischen Stöhnen abrundet. Einen Augenblick später lächelt er wieder über das ganze Gesicht, wie ein Schüler, der seine Lehrerin mit einem besonders lustigen Witz unterhalten hat. Cheryl ist hingerissen von Rodneys schauspielerischem Naturtalent, dem er ohne auch nur einen Hauch von Nervosität freien Lauf lässt.
    Mit ihrer letzten Frage bietet Cheryl Rodney eine weitere Steilvorlage, um sich besonders selbstsicher
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