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Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land

Titel: Auf der Suche nach Amerika - Begegnungen mit einem fremden Land
Autoren: Bettina Gaus
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Mutlosigkeit überfällt, im Gegenteil. Ich bin in Hochstimmung. Endlich würde die eigentliche Reise beginnen! Die ersten Tage in New York, in denen noch einige organisatorische Dinge geregelt werden mussten, und ein kurzer Abstecher nach New Jersey zählten ja nicht. Sie waren nützlich gewesen zur Einstimmung auf mein ehrgeiziges Vorhaben, und es gibt schlechtere Orte als New York, um in den USA anzukommen. Die Stadt macht einem die Annäherung an das Land leicht, wenn man in strahlender Sonne unweit des Times Square in einem kleinen Park sitzt. Aber mit dem Zweck, den die Reise verfolgt, hat ein Aufenthalt in Metropolis nichts zu tun.
    Über diese Stadt ist alles gesagt, und zwar, um ein altes Bonmot abzuwandeln, auch schon von jedem. »New York ist so wenig Amerika, wie Paris Frankreich oder London England ist«, schrieb Steinbeck. Das gilt wohl ebenfalls für San Francisco, ganz gewiss für Washington, vielleicht sogar für Boston und Chicago. Auch deshalb will ich ja gerade dort hin, wohin es ausländische Journalisten im Regelfall nicht zieht: in die ländlichen Gebiete, in die kleinen Städte und Dörfer.
    Um dort den Alltag zu sehen, über den wir in Deutschland wenig wissen. Viel weniger als von den politischen Positionen des jeweiligen US-Präsidenten. Um mit Frauen und Männern zu reden, die üblicherweise in Medien nicht zu Wort kommen – es sei denn, in ihrer Nachbarschaft hat sich ein spektakulärer Mordfall ereignet oder sie sind Opfer einer Naturkatastrophe geworden. Mit sogenannten »kleinen Leuten« also, die in Deutschland gerne klagen: »Uns fragt ja keiner.« Eine Formulierung übrigens, die ich in den USA kein einziges Mal gehört habe. Das in Deutschland schwindende Gefühl, es komme auf die Meinung jedes Einzelnen an, scheint in den Vereinigten Staaten noch tief verankert zu sein. Aller Politikerverdrossenheit zum Trotz. Aber ich greife vor. Noch bin ich ja in Connecticut, und noch habe ich mit überhaupt niemandem hier gesprochen.
    Immerhin bin ich endlich draußen aus der Stadt. Wer sich nach unberührter Natur und Einsamkeit sehnt, fährt vielleicht nicht gerade hierher – jedenfalls dann nicht, wenn er sich vorher ein paar Statistiken angeschaut hat. Connecticut ist der Bundesstaat mit der vierthöchsten Bevölkerungsdichte und einem der höchsten durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen in den USA. Das lässt eher an Wolkenkratzer und Swimmingpools denken als an Weite und Naturgewalt.
    Aber »vierthöchste Bevölkerungsdichte« bedeutet in diesem drittgrößten Staat der Erde eben: immer noch ziemlich leer. 30 Einwohner leben in den USA durchschnittlich auf einem Quadratkilometer – in Deutschland sind es fast achtmal, in den Niederlanden sogar mehr als 16-mal so viel. »Vierthöchste Bevölkerungsdichte«: das steht nicht im Widerspruch dazu, dass mehr als die Hälfte der Fläche von Connecticut mit Wald bedeckt ist.
    Wald! Gibt es für eine Deutsche, die gerade in Gefahr ist, schwärmerischer Sehnsucht nach der Natur anheimzufallen, ein verheißungsvolleres Wort? Leider nicht. An diesem ersten Reisetag ist es mir ziemlich gleichgültig, wo genau ich am Abend landen werde. Möglichst abgelegen soll der Ort sein. Alles andere spielt keine Rolle. Da gibt es nur eins: weg von der langweiligen Autobahn, hin zu den Seitenstraßen. Je kleiner, desto besser.
    Es dämmert. In anderen Ländern würde ich jetzt alle Naturbetrachtungen auf den nächsten Tag verschieben und mir schleunigst ein Nachtquartier suchen. Aber glücklicherweise besteht ja in den USA nicht die Gefahr, dass man keine Unterkunft bekommt. Von früheren Reisen weiß ich, wie einfach es ist, in diesem Land ein Motel zu finden. Sauber, standardisiert, mit Fernseher, warmem Wasser und auch mit Klimanlage oder Heizung, je nach Bedarf.
    Ein bisschen unpersönlich sind diese Motels allerdings, zugegeben. Ich denke an gemütliche Streitgespräche, die ich mit deutschen Freunden über die Frage geführt habe, ob im Zweifelsfall einer kleinen Familienpension oder einem funktionierenden Fernseher der Vorzug zu geben sei, und ich lächle vor mich hin. Inzwischen ist es nicht mehr dämmrig, sondern dunkel. Ich muss ein paar Unterkünfte übersehen haben.
    Also konzentriere ich mich jetzt auf die Zimmersuche. Aber auch dann gibt es hier kein Motel. Vielleicht sollte ich doch allmählich versuchen, auf eine größere Straße zurückzufinden. Auf der es gut sichtbare Leuchtreklamen gibt. Aber wie? Der Schutzheilige des Reisens ist mir
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