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Auf dem spanischen Jakobsweg

Auf dem spanischen Jakobsweg

Titel: Auf dem spanischen Jakobsweg
Autoren: Wolfgang Dannhäuser
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Schuhe aus und betrachten ihre
Blasen. Allmählich werden wir hier etwa 30 bis 40 Pilger sein, Paare, aber auch
Einzelgänger, auffallend viele Frauen, alle Altersgruppen, nicht zuletzt
solche, die ihr Berufsleben schon hinter sich haben dürften und jetzt auf
Pilgerreise gegangen sind. Man plaudert miteinander, aber niemand tut sich
hervor, niemand schwadroniert, niemand versucht zwanghaft gute Stimmung zu
machen, niemand dringt in den andern. Man spürt, dass alle auf dieser Reise
auch für sich sein wollen, auf sich selbst konzentriert und trotzdem auch
aufgeschlossen sind für die anderen. So entsteht schon hier, beim ersten
Zusammentreffen, eine friedliche, fast familiäre Atmosphäre. Man hört viele
Sprachen, Spanisch, Französisch, Englisch, Holländisch, Portugiesisch und
Deutsch, letzteres in verschiedenen Varianten, angesiedelt zwischen Zürich,
Wien und Hamburg.
     

    Ein
stämmiger Pole mit tiefen Furchen im Gesicht und einer Stimme, deren Rauheit
Gauloises-Zigaretten und Nordhäuser-Doppelkorn assoziiert, und mit Händen, die
man sicher im oberschlesischen Kohlerevier gut brauchen könnte, zeigt mir sein
blutverkrustetes rechtes Bein. Er ist in den Bergen gestolpert und auf
hartkantigen Stein gefallen, aber er lacht, „eh bien, on verra“ — man wird
sehen. Im vergangenen Jahr ist er den Jakobsweg durch Frankreich gegangen, in
diesem Jahr will er nach Santiago. Ob er Jod und Pflaster hat, will ich wissen.
Ja, das hat er, danke schön.
    Schließlich
kommt ein Mann „in Zivil“, also ohne Rucksack und ohne Pilgerstock und fordert
uns mit gleichgültigem Gesicht auf, ihm zu folgen. Jeder schnappt sich seinen
Rucksack und seinen Pilgerstock und schon folgt die Herde ihrem Hirten, einem
Hirten ohne Stock, denn die Stöcke müssen die Schafe hier selbst tragen.

    Es geht um
ein paar Ecken und dann hinein in düstere, uralte Mauern, schließlich eine
knarrende breite Holztreppe hinauf. An einem langen Tisch legen wir unsere
Pilgerpässe vor. Jeder bekommt einen Stempel in seinen Pass und die
Information, dass um 20 Uhr in der Stiftskirche eine Pilgermesse gelesen wird.
Danach könne man dann in der oberen Kneipe eine Pilgermahlzeit einnehmen, aber
natürlich auch in dem teureren Restaurant des weiter unten gelegenen Hotels. An
beiden Orten bekäme man gegen Vorlage des Pilgerpasses einen Nachlass. Und
schließlich wird uns noch gesagt, dass sich jetzt jeder sein Bett suchen könne.
    In den
Schlafsälen hat schon so mancher brave Pilger — und vielleicht auch weniger
brave, denn früher schickte man auch Missetäter zur Sühne auf Pilgerfahrt nach
Santiago — sein müdes Haupt niedergelegt. Hier stehen ganz dicht
aneinandergereiht wacklige und quietschende Stockbetten, so eng, dass man
schauen muss, wo man mit seinem Rucksack und seinen durchgeschwitzten Kleidern
bleibt. Dann verwandeln sich die zwei oder drei Schlafsäle, wir dürften jetzt
so um die fünfzig Pilger sein, im Handumdrehen in ein Lazarett für Fußleiden.
Blasen werden neugierig und amüsiert betrachtet und fachmännisch begutachtet,
dann aufgestochen und mit Fäden durchzogen. Alle möglichen Salben kommen zum
Vorschein. Es riecht nach Jod und Teebaumöl. Pflaster werden aufgedrückt und
Binden angelegt. Manche haben Probleme mit den Knien. Aber niemand jammert
ernstlich, nur beim Einsatz von Jod verziehen sich die Mienen. Die drei Duschen
laufen ununterbrochen. Das warme Wasser ist schnell verbraucht, eiskalt geht es
weiter. Ein Spanier sagt lachend zu mir: „Somos un gente duro“ — wir Pilger
sind harte Leute.

    Alle
amüsieren sich, keiner jammert. Wieder diese heitere, gelöste
Familienatmosphäre, diese Ansprechbarkeit bei gleichzeitiger Zurückhaltung,
Zutraulichkeit ohne Vertraulichkeit, Diskretion, aber keine Distanziertheit.
    Um 20 Uhr
ist also Pilgermesse in der frühgotischen, recht kleinen und sehr breiten
dreischiffigen Stiftskirche mit den fast bleistiftförmig schmal in die Höhe
strebenden bunten Glasfenstern und natürlich der berühmten Statue der „Jungfrau
von Roncesvalles“. Zu ihr soll — der Legende nach — schon im 11. Jahrhundert
ein weißer Hirsch geführt haben, der in seinem Geweih einen Stern trug. Aber
dann gab es viele hundert Jahre später Männer und Frauen von profunder
Gelehrsamkeit, die doch tatsächlich erklärten, dass das alles ganz anders
gewesen und die Madonna erst im 13. oder 14. Jahrhundert entstanden sei. Einig
sind sich aber alle darüber, dass sie aus Zedernholz geschnitzt, mit
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