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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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zu sein, nur kein guter Verlierer. Er hat da ein paar Kniffe drauf, sein Gegenüber einzuschüchtern und dumm dastehen zu lassen, das macht ihm Spaß. »Was Sie nicht zu wissen scheinen«, »Wenn ich Sie da berichtigen darf«, »Wenn Sie sich in New York ein bisschen auskennen«, »Ich habe bereits – da waren Sie noch gar nicht auf der Welt – …«, »Das ist, mit Verlaub, dummes Zeug«, »Ach, wissen Sie«.
    Gut. Und sonst so? Schon die Zeitungen gelesen heute? Nur die »Süddeutsche«, sagt er, und dass einen »so was« natürlich freue. Was denn in den anderen so stehe, erkundigt er sich betont beiläufig und entzellophaniert eine Schachtel Dunhill-Zigaretten – ob es störe, wenn er raucht? Naumanns Sprecher Günter Beling, dessen Beliebtheit bei Hamburger Journalisten mäßig ist, da er unliebsame Naumann-Berichterstattung gern mit Beschwerdeanrufen bei den jeweiligen Chefredakteuren kontert, kneift die Augen zu, spitzt die Lippen und schüttelt den Kopf. So schlimm sei das gar nicht in den Zeitungen heute.
    Naumanns »Blackout« im TV-Duell mit Ole von Beust, dieser »Aussetzer« ist das beherrschende Thema in den Hamburger Zeitungen, diskutiert wird, wie viele Stimmen so ein »schwerer Stotter-Anfall« kosten oder eventuell gar bringen könnte. Natürlich kommen auch Psychologen zu Wort. Es wird sogar kolportiert, Naumann habe nach der Sendung zu von Beust gesagt, damit habe er, von Beust, die Wahl wohl gewonnen. Sprecher Beling wird dies heute allen aufgeregt Anrufenden gegenüber als »Witz« sprachregeln.
    Gewählt wird erst am kommenden Sonntag, aber in Umfragen hatten viele Hamburger bekundet, sie wollten ihre endgültige Entscheidung vom »Ausgang des TV-Duells« abhängig machen, und da dieses aber nurvon 60 000 Hamburgern gesehen wurde, sind die Nacherzählungen und Interpretationen in den Zeitungen nicht ganz unwichtig. Das von Naumann heute vorgeblich einzige bislang gesichtete Blatt, die »Süddeutsche Zeitung«, ging früher in Druck, das TV-Duell kommt nicht vor in einem langen, wohlwollenden Naumann-Porträt, Überschrift: »Der Rosenkavalier«. Natürlich, so was freut einen. Beling drückt Besuchern heute besonders gern eine SPD-Wahlkampfzeitung in die Hand, »Der neue Bürgermeister« steht auf der Titelseite, daneben ein Naumann-Foto.
    Als Henning Voscherau ihn beim nicht gerade zwanglos zu nennenden gemeinsamen Nachsendungs-Rumgestehe, die Schulter tätschelnd, wiederaufzurichten versucht hatte mit dem aufmunternd gemeinten Satz »Das macht dich menschlich«, da wirkte Naumanns Nicken wie ein Kopfschütteln. Auch das noch, ausgerechnet, sagte Naumanns Mimik, nach all den Jahren in hohen Positionen, tollen Städten, ja Häfen, an Schaltstellen und immer obenauf – und nun also »menschlich«, Prost Mahlzeit. Dem als Nothelfer der Hamburger SPD Eingesetzten, diese Rolle mit Wonne Spielenden, schlägt nach seinem Aussetzer etwas entgegen, das in dieser Adressierungsrichtung nicht zu seinem Selbstentwurf passen will: Mitleid.
    Noch bevor Voscherau ihn tätscheln, seine Ehefrau Marie Warburg ihn küssen und er die Zuspruchs-SMS seiner Tochter laut verlesen konnte, war ihm CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla in die Quere gekommen, der währenddessen schon von fleißigen Mitarbeitern eine schnell auf einem Faxgerät kopierte Pressemitteilung verteilen ließ (»Ole von Beust klarer Sieger – Naumann ohne Konzept«). Da so viele Fotografen um die beiden herum standen, mussten sie natürlich ein wenig witzeln und alles nicht so eng sehen, das schaut dann immer besser aus. Während die Auslöser klickten und die Blitze blitzten, gab Naumann dem gegnerischen Generalsekretär gönnerhaft Wissenswertes über dessen Wahlkreis Kleve mit auf den Weg und fragte ihn, ob er überhaupt wisse, was ein »Kielschwein« sei. So oder so, Naumann erklärte es gern. Er hattenämlich Pofallas generalsekretärsüblich markigen, so dämlichen wie zitablen Spruch, Naumann sei auf einem Segelboot besser aufgehoben als im Hamburger Rathaus, im Wahlkampf immer mit einer Einladung an Pofalla erwidert, doch mitzusegeln, und zwar als, eben, »Kielschwein«. Die Endung »Schwein« ist natürlich auf jedem Marktplatz und in jedem Saal ein sicherer Lacher, doch da man nun schon mal so schön zusammenstand, erläuterte Naumann dem freundlich über des Herausforderers Schulter die Verteilung seiner Presseerklärung kontrollierenden Generalsekretär, welche stabilisierende Längsstrebe im Schiffsrumpf nun eigentlich genau der
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