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Asylon

Asylon

Titel: Asylon
Autoren: Thomas Elbel
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gekommen. Warum nicht einfach
alles stehen und liegen und die heißgeliebten Kollegen von der Grenzpolizei den
Rest machen lassen? Schließlich fielen stinknormale Grenzdurchbrüche wie dieser
ohnehin nicht in seine Zuständigkeit. Er hatte nur Scooter einen Gefallen tun
und dessen morbide Neugier auf die Tötungsanlagen im Grenzbereich befriedigen
wollen. Reiner Zufall, dass sie bei ihrer Inspektion des Todesstreifens die
Leiche entdeckt hatten. Zugegeben, irgendetwas an der grausigen Szenerie hatte
zunächst auch sein eigenes Interesse erregt. Aber was denn eigentlich,
verdammt noch eins?
    Ärgerlich sah er wieder zu dem
Körper hinüber, der nur ein halbes Dutzend Meter vor ihm lag und doch unerreichbar
war. Unter der zerrissenen und blutbesudelten Kleidung war Haut zu sehen.
Dunkle Haut. Nun, das bestätigte nur das ohnehin Naheliegende. Schließlich
kamen die Eindringlinge meist aus den Elendswüsten der südlichen Länder.
Sengende Hitze und Dürre waren ihnen in den Jahrzehnten nach dem globalen
Temperaturanstieg Meile um Meile gefolgt und hatten sie immer weiter nach
Norden getrieben, bis hierher, wo sie ein anderer, weniger zögerlicher Tod
erwartete.
    Nicht zum ersten Mal fragte er
sich, wie unerträglich das Leben dort draußen sein musste, dass die Menschen
das Risiko auf sich nahmen, über diese Grenze schleichen zu wollen. War es
besser, von den Minen in Fetzen gerissen zu werden, als in den Offlands
qualvoll dahinzusiechen? Möglicherweise. Missmutig zuckte er mit den Schultern.
    Wie soll ich
herausfinden, was dir passiert ist , wenn ich nicht an
dich herankomme?
    »Ist doch komisch, oder?«,
erklang es hinter ihm.
    Torn atmete tief aus und bemühte
sich um Geduld. »Was denn, Mann? Was ist denn so komisch?«
    »Na ja, ich weiß nicht, Boss. Der
Kalte und so.«
    Torn ließ die Hoffnung, ungestört
nach der Lösung des Rätsels suchen zu können, endgültig fahren und wandte sich
seinem Assistenten zu, der – ein breites Grinsen im sonnengeröteten Gesicht –
direkt am Zaun stand und hektisch auf den Zehen auf- und abwippte.
Unwillkürlich glitt Torns Blick an Scooters langer, plumper Gestalt hinab. Die
Beine seines Assistenten entsprangen den Stiefeln wie die fleischigen Stängel
einer haarigen, bleichen Pflanze. Über den unvermeidlichen Bermudas trug er an
diesem Tag ein T -Shirt, unter dem sich ein kleiner Bauch wölbte. Mühsam
konnte Torn den verblassenden Aufdruck entziffern: BAD TO THE BONE! Warum nur konnte der Kerl nicht wenigstens versuchen ,
wie ein Sicherheitsbeamter auszusehen?
    »Erstens heißt das nicht Kalter,
sondern Leiche, und zweitens …«
    »Zweitens was, Boss?«
    »Zweitens … Ach, vergiss es. Sag
mir einfach, was so komisch ist.«
    Scooters Grinsen wurde noch
breiter, und seine Zehenwipperitis erreichte die Frequenz einer hyperaktiven
Nähmaschine. »Na ja, Boss, es ist Ihnen bestimmt auch schon aufgefallen.«
    Torn bemühte sich um einen
neutralen Gesichtsausdruck und gab Scooter mit einer gnädigen Handbewegung zu
verstehen, er möge fortfahren.
    »Es ist die Lage, Boss.«
    Einige Sekunden lang hallten
Scooters Worte in seinem Bewusstsein nach, ohne dass Torn fähig war, ihren Sinn
zu begreifen. Dann traf ihn die Erkenntnis wie der Blitz. Er fuhr herum. Der
Leichnam lag zwischen der Blendmauer und dem aufgerissen Boden, wo die Mine
explodiert war, und zwar auf dem Bauch, den Rücken völlig zerfetzt und der Kopf
in Richtung Blendmauer. Fast hatte es den Anschein, als ob …
    »Man könnte glatt denken, der
hier wollte raus statt rein wie die anderen.«
    Natürlich!, dachte Torn. Ich Vollidiot. Das ist es! Der Kerl ist auf die
Blendmauer zugegangen! Darum befindet sich der Explosionsort zwischen mir und
ihm! Es sei denn, er hat das Klicken gehört, als er auf die Mine trat, und ist
erschrocken zurückgesprungen! Aber dann hätte ihn die Explosion von vorn
erwischt. Das war eindeutig nicht der Fall, denn der Rücken der Leiche war von
den Schrapnellen völlig zerfetzt.
    Angestrengt dachte Torn darüber
nach, welche anderen Erklärungen es für die Lage des Toten geben mochte. Hatte
der Kerl vielleicht kehrtmachen wollen? War er zurück Richtung Blendmauer
gelaufen und dabei auf die Mine getreten? Unsinn. Warum sollte er noch einmal
die ersten zwanzig Meter Minenfeld durchqueren und den rasiermesserscharfen
Klingendraht mit Selbstschussanlagen und die acht Meter hohe Außenmauer erneut
überwinden wollen. Nein, alles sprach dafür, dass der Eindringling gar kein
Eindringling
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