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Arabiens Stunde der Wahrheit

Arabiens Stunde der Wahrheit

Titel: Arabiens Stunde der Wahrheit
Autoren: Peter Scholl-Latour
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verhängnisvoller wirkte sich die Ausweitung des »Krieges gegen den Terror« auf den Irak Saddam Husseins aus. Wer erinnert sich heute noch daran, daß im Jahre 2003 Condoleezza Rice, die engste Vertraute des Präsidenten George W. Bush, nach der fast kampflosen Besetzung Bagdads durch die U.S. Marines behauptete, der Irak habe den tugendhaften Pfad der freiheitlichen Emanzipation beschritten. Von diesem »Leuchtturm der Freiheit« aus werde ein demokratischer »Frühling« in der ganzen arabischen Welt erblühen.
    Da berührt es peinlich, wenn Barack Hussein Obama bei den Feierlichkeiten am »Ground Zero« – ein wenig wie sein glück­loser Vorgänger mit dessen irreführendem Spruch »Mission accomplished« – von einem amerikanischen Sieg über die Kräfte des Terrorismus fabuliert. An dieser Stelle sollte noch einmal die kluge Analyse Zbigniew Brzezinskis, des ehemaligen »National Security Advisor« von Präsident Jimmy Carter zitiert werden, der schon bei Einleitung des Feldzugs »Iraqi Freedom« erklärte: »In den vergangenen Monaten haben die Vereinigten Staaten eine Erfahrung gemacht, die wir als das ungewöhnlichste Versagen der Intelligenz in unserer Geschichte bezeichnen können. Die­ses Versagen wurde durch extreme Demagogie ausgelöst, die schlimmste Katastrophen-Szenarien entwirft, Ängste schürt und eine äußerst simpli­fizierte Sicht, eine Zweiteilung (Dichotomie) der weltweiten Wirklichkeit suggeriert. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer seriösen Debatte über Amerikas Rolle in der Welt. Kann eine Weltmacht ›global leadership‹ ausüben auf der Basis von Furcht und Angst? Können die Vereinigten Staaten Unterstützung anfordern, zumal die Unterstützung von Freunden, wenn denen gesagt wird:›Ihr seid gegen uns, wenn ihr nicht mit uns seid‹? … Die Notwendigkeit einer solchen Debatte kann nicht ausgeräumt werden, indem man die Herausforderung mit theologischem Akzent als ›Terrorismus‹ qualifiziert, ein Terrorismus, den diejenigen ausüben, die ›die Dinge hassen‹ (who hate things), während wir Menschen sind, die ›die Dinge lieben‹ (who love things).« – So hat es Amerikas angesehener Wortführer ausgedrückt. Darauf folgt das zentrale Argument: »Terrorismus ist eine Technik, um Menschen zu töten. Er kann nicht der Feind sein. Das klingt so, als würden wir behaupten, der Zweite Weltkrieg sei nicht gegen die Nazis geführt worden, sondern gegen den ›Blitzkrieg‹. Wir müssen die Frage stellen, wer der Feind ist und was ihn zu seinen Aktionen gegen uns motiviert?«
    Mit welchen freudigen Überraschungen und mit welchen bitteren Enttäuschungen wird der »Arabische Frühling« des Jahres 2011 noch aufwarten? Auf diese Frage, die ständig gestellt wird, gibt es keine Antwort. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hat die wiederentdeckte Solidarität Frankreichs mit Großbritannien zelebriert und ist mit dem britischen Premierminister David Cameron gemeinsam nach Libyen gereist, um dort von einer jubelnden Menge gefeiert zu werden. Es ist schon ein ungewöhn­licher Vorgang, daß dieses Mal der Einsatz französischer und britischer Kampfflugzeuge in einer innerarabischen Krise von der muslimischen Bevölkerung als Akt rettender Freundschaft und nicht als spätkoloniale Vergewaltigung empfunden wurde. Wie lange diese gegenseitige Zuneigung dauern wird, ist höchst ungewiß. Der Verdacht, es sei den Entente-Mächten in erster Linie um ihre ­Petroleum-Interessen in Libyen gegangen, wird unweigerlich aufkommen.
    Da ist eine ganz andere Figur wie ein mächtiger Magier und Hoffnungsträger auf den Plan getreten. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdog˘an hat ebenfalls die Schauplätze der »Arabellion« aufgesucht. Doch verfügte er gegenüber den beiden europäischen Staatsmännern über den immensen Vorteil, sich in­mitten einer ergriffenen Masse gläubiger Muslime mitsamt ­deren Ulama undSchuyukh beim gemeinsamen Gebet in Richtung Mekka zu verneigen. Eine neue tragende Rolle der Türkei ist plötzlich sichtbar geworden, und Erdog˘an scheint an die Größe des Osmanischen Reiches anknüpfen zu wollen. Das Imperium des Padischah erstreckte sich einst auf dem Südufer des Mittelmeers bis an
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