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Aqualove

Aqualove

Titel: Aqualove
Autoren: Nola Nesbit
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Schlüssel steckte. Ich rannte die Treppe hinunter und bemerkte schmerzlich, dass ich noch nichts gegessen hatte. Manche Menschen konnten morgens nichts essen. Andere mussten. Ich gehörte zum letzteren Typ. Nichts zu essen machte mich unleidlich, schlecht gelaunt, aggressiv. Sicherlich keine guten Voraussetzungen, um bei der örtlichen Industriellenprominenz Punkte zu sammeln.

Begegnung
    Wenn ich rannte, konnte ich vielleicht noch einen kleinen Abstecher zum hiesigen Bäcker machen. Glücksgefühle überkamen mich, während ich mich langsam in Bewegung setzte. Im Vergleich zu den meisten anderen Menschen lief ich gern. Knapp fünfzig Kilogramm auf einen Meter fünfundsechzig verteilt, das ließ sich gut bewegen. Die Luft roch angenehm nach Moos und Feuchtigkeit. Der Himmel war bedeckt, aber die Wolkendecke dünn, sodass ich die mittägliche Sonne schon erahnen konnte. Früher hatten um diese Jahreszeit die Vögel gezwitschert. Inzwischen waren sie in Gefilde abgewandert, in denen es mehr grüne Vegetation und besseres Wasser gab. April – der Frühling war auch ohne Vögel im Landeanflug. Ich genoss den minimalen Gegenwind, den meine Bewegungen auslösten.
    Mich traf schier der Schlag, als ich den Anschlag an Sabritzkis Tante-Emma-Laden sah: Die Literflasche Wasser kostete mittlerweile satte fünf Dollar. Es war unfassbar! Ich würde bald einen Kredit für Grundnahrungsmittel aufnehmen müssen. Vor zehn Jahren hatten die Demokraten im Kongress davor gewarnt, dass Wasser bald über drei Dollar kosten würde. Ein Aufschrei war durch die Nation gegangen: Drei Dollar! Da hätten wir ja gleich unser Öl trinken können – das wäre günstiger gewesen. Tödlich, aber günstig. Natürlich hatte es jahrelang keine verbindlichen CO₂-Abkommen gegeben. Klimaschutz war einfach zu teuer. Umweltschutz und Recycling blieben viel zu lange das Privileg der großen Industrienationen. Und selbst die hatten es damit nicht so genau genommen.
    Der Super-GAU aus 2018: die chemischen Gifte und die Dreckwolken im Meer, die den Weg bis heute über den Regen in unsere Städte fanden: Heute zahlten wir alle die Rechnung für unsere Dummheit.
    Seitdem die Wasserpreise über vier Dollar gestiegen waren, beschwerte sich niemand mehr. Es war eine Art stiller Resignation, mit der wir akzeptiert hatten, dass das Wichtigste, das wir neben der Luft zum Atmen brauchten, plötzlich zum Luxusartikel geworden war. Es gab einfach kein sauberes Wasser mehr. Wir hatten unseren verdammten Planeten verkommen lassen. In ein paar Jahren würden wir vermutlich zu Tausenden in Chicago mit Wasserkanistern an einem Tankwagen anstehen. Die Geschichte hatte uns schon lange eingeholt.
     
    Als ich die Tür zum Coffeeshop öffnete, kam mir sofort der Duft von warmem Brot entgegen. Es gab schlimmere Gerüche. Zwei Teenager bezahlten noch ihre Brötchen, aus denen zerquetschte Marshmallows herausquollen. Ich war dran. „Morgen.“
    „Morgen. Was darf’s sein?“
    Ich bestellte einen Latte und ein Croissant, die gelegentliche Frühstückshommage an das Heimatland meines Vaters. Die Aussicht auf Milchschaum und Butter hatte eine fast erhebende Wirkung auf mich.
    „Kann ich sofort zahlen?“
    „Klar. Ich bring Ihnen die Sachen gleich.“
    Ich legte das abgezählte Geld auf den Tresen und suchte mir einen Platz auf der Fensterbank vor den bodentiefen Schaufenstern. Es war der perfekte Platz: Ich sah die Straße und konnte mit einer kleinen Wendung meines Körpers beobachten, wie mein Kaffee zubereitet und das Croissant auf einem Tellerchen platziert wurden. Im Hintergrund sangen die Beatles „Yesterday“ aus einer rauschenden Pod-Anlage. Die alten Dinger hatten eine himmelschreiend schlechte Qualität. Jeder, der etwas auf sich hielt, verlinkte die Boxen einfach mit seinem Mob. Im hinteren Teil des Ladens gab es noch einen Stehtisch und zwei Tische für jeweils vier Personen. Für die üblichen Seniorentreffs war es noch zu früh.
    Links neben mir buhlte die aktuelle Schlagzeile der Tageszeitung in großen schwarzen Lettern um meine Aufmerksamkeit: „Mehrere Tote im Mirror Lake – Vergiftet?“ Ich nahm das Blatt hoch. Wer schwamm heute noch im Mirror Lake? Das glich einem Selbstmordkommando. Der See war seit Jahren verunreinigt. Meine Augen flogen über die Zeilen. Die Knochen mussten schon ewig im See gewesen sein, irgendetwas hatte sie lange genug unter Wasser festgehalten. Dass nach über 15 Jahren, so lautete die Schätzung des Gerichtsmediziners,
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