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Aprilwetter

Aprilwetter

Titel: Aprilwetter
Autoren: Thommie Bayer
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erklären können. Er wusste es eben.
    Und ihm war auf einmal klar, dass er nie wieder auf einer Bühne stehen wollte. Dieser Gedanke war aufregend, fühlte sich an wie ein Versprechen für die Zukunft, ein Angebot, endlich zu leben wie ein Mensch, nicht wie diese seltsame, eulenhafte, engelhafte, geisterhafte Art von Wesen, die sich für ein paar Stunden in der Nacht mit dem Publikum verbündet, um sich entweder, wenn die Musik nicht wirklich gut ist, zu schämen, zumindest der Peinlichkeit des Augenblicks bewusst zu sein, oder sich, wenn alles stimmt, aufzulösen in ein Mischwesen aus Zuhörern, Musikern, Seele, Schwingung, Tönen, was auch immer, ein Irgendwas, das keine Grenzen kennt. Wenn die Musik nichts taugt, ist sie der Mühe nicht wert, und wenn sie was taugt, ist der Unterschied zum richtigen Leben, dem Rest des Tages, den man trotzdem irgendwie herumbringt, zu groß.
    Vielleicht war er inzwischen alt genug, um zu wissen, dass das Leben kein Rausch sein kann, oder auch, dass ein Rausch nicht ohne Kater zu haben ist, und dass der Gedanke »Ich fliege und brauche Kerosin«, mit dem er oft den ersten Stoff des Tages eingefüllt hatte, so wahr wie dumm gewesen war. Und dass er das nicht mehr wollte. Und dass er Daniel dankbar war.
    —
    Nach der Landung in Frankfurt fand er Deutschland verändert. Zwölf Jahre war er nicht mehr hier gewesen. Alles schien schneller, lauter und nervöser, die Frauen geschminkt und kokett inszeniert, die Männer mit Stirnglatzen, Halbglatzen, fingergliedkurzen Haaren und Anzügen, die ihnen zu eng am Leib spannten, oder Jacken, die irgendwie sportlich wirken sollten, als gäbe es nur noch Banker und Trainer, das Geld war nicht mehr dasselbe, in den Auslagen mit Zeitschriften erkannte er nur wenige Titel wieder, der Bahnhof am Flughafen war eine Raumstation, und der Hightechzug, in den er stieg, um ein Vielfaches komfortabler und eleganter als das eben verlassene Flugzeug.
    Er kam sich vor wie ein Westernheld, der aus der einen Fremde kommt und in der nächsten Fremde verweilt, um den Job zu tun, nach dessen Erledigung er in eine neue Fremde ziehen wird.
    —
    Das war falsch. Er hatte nach Hause gefunden. Dieser Ort, La Storia, mit seiner konzentrischen Betriebsamkeit und dennoch behäbigen Konstanz ist das Richtige für ihn. Niemand erwartet was von ihm, glaubt ihn zu kennen oder fragt sich, was mit ihm los sei. Er ist der, der er sein will. Der Mann, der Kaffee ausschenkt. Alle, die ihn von früher hätten kennen können, sind längst weitergezogen oder haben ein Bild von ihm in Erinnerung behalten mit Bart und langem Haar, dem er nicht mehr ähnelt, er fügt sich ein, gehört zum Stadtbild und hat seine Ruhe. La Storia ist die Höhle, in der er sich zum Winterschlaf seines restlichen Lebens niedergelassen hat.
    —
    Heute ist einer dieser Tage, an denen nicht mal der Milchschaum gelingt. Benno weiß das jetzt schon, obwohl die Maschine erst aufwärmt. Er riecht diese Tage – sie haben etwas Staubiges, Elektrisches und Metallisches an sich, das ihn, schon wenn er die Tür aufschließt, stört und bis in die Nacht verfolgen wird.
    Viel mehr noch aber stört ihn, dass er putzen muss, weil kurz vor sieben Frau Wernke angerufen hat, sie könne nicht, ihr Kind sei krank. Hätte sie ihm das gestern Abend gesagt, kein Problem, aber so musste er sofort aus dem Bett und hetzen, anstatt wie sonst allmorgendlich beim Bäcker Croissants, Baguette und Toastbrot zu holen, oben in der Wohnung die Sandwiches und Tramezzini herzurichten, um dann entspannt gegen halb neun unten aufzuschließen, die Maschine anzustellen, alles nachzufüllen, Zucker, Süßstoff, Streichholzbriefchen, die Tageszeitung mit Heftklammern vor dem Zerfleddern zu schützen und auf die ersten gähnenden Gäste zu warten.
    Benno hasst das Putzen. Vor allem in den Toiletten. Natürlich hat Frau Wernke letzte Nacht nur zu viel getankt und kam deshalb nicht aus den Federn. Er hat ein Auge für die Sorte. Und erkennt den Sound einer verkaterten Stimme. Vielleicht hat er sie nur deshalb eingestellt, als eine Art Wiedergutmachung. Als Dominotaktik. Wenn jeder gerettete Säufer einen weiteren rettet, dann zahlt er irgendwie seine Schulden zurück.
    Aber wenn sie ihm das zu oft bringt, lässt er sie fallen. Einmal im Monat maximal, mehr ist nicht drin.
    Er wird von ihr verlangen, dass sie abends kommt. Dann kann er, wenn was schiefgeht, einspringen oder umdisponieren. Zum Glück hat er Souad auf dem Handy erreicht und konnte ihr
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