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Anubis - Roman

Titel: Anubis - Roman
Autoren: Bastei Lübbe
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zurückhalten musste, um seine Zimmerwirtin nicht mit scharfen Worten in ihre Schranken zu weisen. Aber so lächelte er nur und deutete eine Bewegung an, die Miss Preussler für ein Achselzucken halten konnte oder wofür auch immer sie wollte.
    Nach einer weiteren Sekunde kehrte das spöttische Lächeln in Miss Preusslers Augen zurück und sie hob erneut den Zeigefinger, um ihm spielerisch zu drohen. »Aber mein lieber Professor. Ist es etwa ein Beweis guter Erziehung, eine alte Freundin zu belügen?«
    Es lag Mogens auf der Zunge zu sagen, dass das einzig wahre Wort in diesem Satz »alte« war, aber das verbot ihm tatsächlich seine gute Erziehung. Davon abgesehen wäre es nicht klug, es sich ganz offen mit Miss Preussler zu verderben; zumindest nicht bevor er wusste, wer sein geheimnisvoller Besucher eigentlich war und was er von ihm wollte. Er antwortete deshalb auch auf diese Frage nicht.
    Miss Preussler war jedoch ganz offensichtlich nicht geneigt, so schnell aufzugeben; was Mogens aber keineswegs überraschte – wenn es etwas gab, was er – wenn auch widerwillig – an seiner Zimmerwirtin bewunderte, dann war es ihre Beharrlichkeit. Miss Preussler hatte vom ersten Tage an wenig Zweifel daran gelassen, dass sie nichts unversucht lassen würde, den gut aussehenden, sportlich gebauten Dauergast in ihrem Haus irgendwann in ihr weiches Bett und ihre vermutlich noch weichere Umarmung zu locken – etwas, dessen bloße Vorstellung Mogens allerdings schon einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Die von ihm postulierte Weichheit ihrer Umarmung lag nämlich keineswegs an ihrer Alabasterhaut oder ihrem sanften Wesen, sondern vielmehr an etlichen überflüssigen Pfunden, die die Jahre, die sie ihm voraus hatte, auf ihrer Statur abgeladen hatten. Mogens hatte sich niemals nach ihrem Alter erkundigt, schon, weil allein diese Frage eine Vertraulichkeit zwischen ihnen geschaffen hätte, die er ganz bestimmt nicht wollte, aber er schätzte, dass sie annähernd alt genug sein musste, um seine Mutter zu sein, vielleicht nicht ganz, aber doch annähernd .
    Andererseits hatte es unbestreitbare Vorteile, Miss Preusslers Nachstellungen nicht allzu energisch abzuwehren. Manchmal ging sie ihm zwar gehörig auf die Nerven, bemutterte ihn aber auch geradezu rührend, was sich in dem einen oder anderen Stück Extra-Kuchen an Sonntagen niederschlug, einer besonders großen Portion auf seinem Teller, wenn es Fleisch gab, oder einem immer gefüllten Korb mit Brennholz neben dem Kamin; alles Dinge, die für die anderen Pensionsgäste längst nicht selbstverständlich waren. Miss Preussler hatte sich sogar – obwohl überzeugte Protestantin – mit seiner radikalen Einstellung der Kirche gegenüber abgefunden. Sie billigte sie nicht, hatte sie aber stillschweigend akzeptiert. Hätte es überhaupt noch eines Beweises bedurft, dass sich Miss Preussler durch eine Verwirrung der Gefühle hoffnungslos in ihn verliebt hatte, so wäre es allein dieser Umstand gewesen.
    Mogens hingegen … Nun, er fühlte sich nicht unbedingt abgestoßen von Miss Preussler, aber doch nahe daran. Er war sicher, dass ihre Gefühle für ihn echt waren, und er hatte sogar ein- oder zweimal versucht, in sich selbst wenigstens einen Funken von Zuneigung zu entdecken, aber ohne Erfolg. Dass er die unbestreitbaren Vorteile, die er aus ihren Nachstellungen zog, trotzdem annahm, führte nicht nur zu einem permanenten schlechten Gewissen, sondern zuweilen auch dazu, dass er sich selbst regelrecht verachtete – was seine negativen Gefühle Miss Preussler gegenüber noch verstärkte. Menschen waren schon komplizierte Geschöpfe.
    »Miss Preussler«, begann er, während er noch überlegte, wie er sie möglichst diplomatisch hinauskomplimentieren konnte, ohne dass es sich allzu schädlich auf seinen nächsten Speiseplan auswirkte. »Ich glaube nicht, dass …«
    Miss Preussler kam ihm ungewollt zu Hilfe. Ihre Argusaugen hatten einen unverschämten Eindringling in dem Tempel der Sauberkeit entdeckt, in den sie ihr Haus verwandelt hatte: die Ascheflocken, die vorhin aus dem Kamin gewirbelt waren. Ohne Mogens’ begonnenem Satz auch nur die geringste Beachtung zu schenken, drehte sie sich in einer komplizierten, übergewichtigen Pirouette um ihre eigene Achse und ging dabei zugleich in die Hocke; für Mogens sah es aus, als ob sie irgendwie auseinander flösse und danach in kleinerer und verbreiterter Gestalt wieder Festigkeit annähme. Mit einem Geschick, das
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