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Anruf aus Nizza

Anruf aus Nizza

Titel: Anruf aus Nizza
Autoren: Alexander Borell
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einen Schmerz, einen eigenartigen, ihr ganz fremden Schmerz, der sich nicht näher bestimmen ließ.
    »In welche Klinik wollen Sie mich denn bringen?«
    Darüber hatte er die ganze Zeit schon nachgedacht. Entschlossen sagte er: »Ich fahre Sie in die Privatklinik von Dr. Berckheim. Ich kenne ihn persönlich, und dort sind Sie am besten aufgehoben. Wir sind gleich da. Einverstanden?«
    »Dr. Berckheim?« fragte sie. »Man sagt, dort koste alles ein Heidengeld.«
    »Darüber brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen.«
    Aha, dachte sie, so also läuft der Hase. »Ich bin einverstanden«, sagte sie und rückte ein wenig näher an Wolfgang heran. Da war ein neues Ziel. Dem Wagen nach sogar ein lohnendes Ziel.

    *

    Als Robert Berckheim die schmale, gewundene Seestraße entlangfuhr, schaltete er die Scheinwerfer aus. Der Morgen dämmerte schon, leichter silbergrauer Nebel hing über dem See und verhieß einen klaren Sonnentag.
    Nach wenigen Kilometern bog er in die Anfahrt nach Ried ein. Alte Kastanienbäume säumten den Fahrweg ein, der direkt zu dem schloßartigen Besitz führte. Breit und wuchtig lag der Bau mit seiner großen Terrasse und den hohen Fenstern vor ihm. Nirgends brannte Licht, alles schlief noch. Der Morgen atmete Stille und Frieden.
    Jetzt, als er so leise wie möglich die Auffahrt entlangfuhr, jetzt hätte er sich nichts so sehnlich gewünscht, wie das Lärmen einer Schar ausgelassener Gäste, vor dem er sich bisher am liebsten sofort wieder aus dem Staube gemacht hatte.
    Als er seinen Wagen mit gedrosseltem Motor um die alte, am linken Flügel angebaute Kapelle lenkte, kam ihm zum ersten Male ein neuer, vorerst noch völlig unfaßbarer Gedanke. Wer würde, nachdem Monika es nicht mehr konnte, hier draußen leben, sich um die Kinder und das Haus kümmern? Mama allein kann das nicht mehr.
    Er hielt vor dem Hintereingang, dicht neben dem riesigen, uralten Fliederbusch. Im Vorbeigehen brach Robert einen blühenden Zweig ab und schlich die ausgetretenen Holztreppe hinauf, direkt zu den oberen Räumen. Erst in seinem Zimmer machte er Licht.
    Ein leises Geräusch riß ihn aus seinen Gedanken, ein Geräusch, das ihn von seiner frühesten Kindheit an begleitet hatte.
    Er drehte sich um. Sie trug Schwarz. Sie wußte es schon.
    »Mutter... woher... wer hat dir...?«
    Sie schloß die hohe, dunkel getäfelte Tür hinter sich.
    »Die Polizei aus Nizza hat angerufen. Ich versuchte, dich in der Klinik zu erreichen, aber man sagte mir, du würdest auf der anderen Leitung gerade mit Palermo sprechen. Also wußtest du es zu dieser Zeit auch schon.«
    Das strenge Gesicht der alten Dame blieb unbeweglich
    »Du solltest dich jetzt hinlegen, Robert, und die Augen schließen, auch wenn du nicht schlafen kannst. Du wirst deine Nerven noch brauchen.«
    Er winkte ab. »Was ist mit den Kindern, Mama?«
    »Nichts. Sie schlafen und wissen nichts.« Sie schwieg einen Augenblick, dann fuhr sie fort: »Weiß man wirklich nichts mehr, wenn man tot ist, Robert? Gibt es eine Garantie dafür, daß man nichts mehr weiß? Ob sie es hört, wenn die Kinder nach ihr fragen? Es müßte grauenhaft für sie sein, dann nicht zurückkommen zu können.«
    Robert zerdrückte seine Zigarette und setzte sich auf die Couch.
    »Ich habe Monika sehr geliebt, Mama.«
    »Ich weiß. Und darum liebte ich sie auch.«
    Robert zog sich einen klobigen Bauernhocker neben den Sessel seiner Mutter.
    »Die Kinder freuen sich darauf, daß ich heute mit ihnen am Strand spiele, ich hatte ihnen sogar versprochen, dar Segelboot flott zu machen. Ich kann es nicht. Ich muß ihnen erst...«
    »Du willst es ihnen doch nicht etwa sagen?«
    »Einmal müssen sie es ja erfahren.«
    »Aber nicht heute. Morgen und übermorgen auch noch nicht.«
    »Unangenehme Dinge hast du immer gern hinausgeschoben, und...«
    »...und ich bin nie schlecht damit gefahren. Überlaß die Kinder mir, ich werde wissen, wann es Zeit ist.«
    »Wie du willst. Und was soll ich inzwischen tun?«
    »Ich hielte es für richtig, du bliebst die nächsten Tage in der Stadt. Nichts lenkt so sehr ab wie Arbeit.«
    »Und das Personal? Wissen die Leute schon davon?«
    »Ich habe ihnen noch heute nacht entsprechende Instruktionen erteilt. Niemand wird sich vor den Kindern verraten.«
    Er stand auf und küßte sie. »Es ist gut, Mama, dich zu haben.«

    *

    Der Tankwart in Turin schaute die deutsche Signora mitleidig an. »Sie sollten erstmal schlafen, Signora. Sie zittern ja vor Müdigkeit.«
    Tatsächlich konnte
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