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Anruf aus Nizza

Anruf aus Nizza

Titel: Anruf aus Nizza
Autoren: Alexander Borell
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fallen und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
    »Jetzt ist alles aus«, schluchzte sie. »Jetzt kann mich nichts mehr retten.«
    Er kniete neben ihr auf dem Boden und streichelte ihr Haar.
    »Nichts ist aus, Moni. Du mußt Robert anrufen und ihm erzählen, daß du nicht mitgefahren bist. Vielleicht weiß er auch noch nichts von der Katastrophe und dann...«
    Monika hielt sich die Ohren zu.
    »Das geht doch alles nicht!« rief sie verzweifelt. »Robert hat die Nachricht im Radio gehört und sofort in Nizza angerufen. Gitta war zu verwirrt, um eine Ausrede zu erfinden. Jetzt ist es also passiert.« Ihre zitternden Finger zerrten an der schmalen Goldkette an ihrem Handgelenk wie an einer Fessel.
    Wolfgang hielt ihre beiden Hände fest.
    »Beruhige dich doch erst mal. Hauptsache ist doch, daß du lebst. Alles andere werden wir schon irgendwie in Ordnung bringen.«
    »Ich weiß nicht«, murmelte sie.
    Wolfgang zündete eine Zigarette an und gab sie ihr. Sie rauchte hastig, mit tiefen, gierigen Zügen.
    »Es ist wie eine Schlinge, die sich immer mehr zuzieht, je heftiger man sich befreien will. Was soll ich denn jetzt nur tun?«
    »Auf keinen Fall weiterlügen«, sagte er. »Ruf ihn sofort an. Wir können das so einrichten, daß er es für ein Ferngespräch hält. Sag ihm die Wahrheit. Sag ihm, daß du überhaupt nicht auf dem Schiff gewesen bist und du ihm später alles erklären würdest.«
    Monika stand entschlossen auf.
    »Gut. Ich werde ihm sagen, daß wir beide uns in Nizza zufällig getroffen haben, und daß wir nicht mit der YPSILON...Es geht ja nicht«, fuhr sie mutlos fort. »Ich dachte nicht mehr an die Ansichtskarten.«
    »Welche Ansichtskarten?«
    »Ich hab doch schon in Nizza angefangen zu schwindeln. Als ich nicht mit der YPSILON fuhr, um die Tage mit dir zu verbringen, da wollte ich mir umständliche Erklärungen ersparen. Ich wollte nicht, daß Robert mich falsch verstehen könnte. Deshalb schrieb ich einen Stoß von Ansichtskarten, alle mit Aufnahmen von der YPSILON, und gab sie Marion mit. Die sollte sie unterwegs bei jeder Gelegenheit abschicken. Und das hat sie bestimmt auch getan. Wenn...«
    »Moment! Weshalb hat dann dein Mann erst bei Brigitte angefragt, ob du wirklich auf dem Schiff bist? Demnach müßte er doch keine von diesen Karten bekommen haben?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht war es nur eine augenblickliche Reaktion, eine unüberlegte Handlung, ich weiß es nicht. Jedenfalls kann ich mich nicht darauf verlassen. Ich kann ihm nicht erzählen, ich sei nicht auf der YPSILON gewesen.«
    Wolfgang brachte ihr ein Glas Kognak.
    »Trink einen Schluck und beruhige dich endlich. Aus jeder Situation gibt es einen Ausweg.«
    Monika trank zu hastig, verschluckte sich und hustete.
    »Ich habe keine Ahnung, was werden wird. Aber ich muß zurück nach Nizza, ich muß zu Brigitte.« Sie sprang auf, geladen von hektischer Energie. »Gitta kann mir helfen, und wenn ich die einzige Überlebende sein müßte, jedenfalls fahre ich jetzt. Sofort.«

    *

    Die letzten Töne der Übertragung des Sinfoniekonzerts waren verklungen. Irene stand auf, schaltete das Radio ab und wandte sich dem jungen Mann zu, der gedankenverloren auf dem ölgestrichenen Bretterboden der engen Dachkammer saß.
    »So, Paul, das Konzert ist vorbei. Nun werden wir ja wohl endlich miteinander reden können. Bitte, hör mich jetzt an.«
    Sie zwang sich, ruhig zu bleiben.
    »Paul, ich habe etwas gesagt. Ich muß mit dir sprechen.«
    »Verzeih, Reni. Was gibt’s denn so unerhört Wichtiges?«
    Ihre stets sanfte Stimme hatte einen deutlichen Unterton von Schärfe. »Wann fährst du nach Brazzaville?«
    Er war überrascht. »Das weißt du doch. In zwei Wochen. Das heißt, ich werde vermutlich schon die Verladung der Maschinen in Hamburg überwachen. Ein paar Tage später dampfen wir dann los.«
    Er stand auf und klopfte sich den Staub von den zerbeulten Cordhosen. In den ersten Wochen ihrer Freundschaft hatte sich Irene mit wahrem Feuereifer darangemacht, Ordnung und Sauberkeit in seine verschlampte Junggesellenmansarde zu bringen. Mit der Zeit jedoch war Irenes Eifer erlahmt, sie war müde und uninteressiert geworden. Immer wieder aber hatte er Irene vor seinen eigenen Vorwürfen in Schutz genommen: ein Mannequin darf keine verarbeiteten Hände haben, ein Mannequin muß gut frisiert sein, ein Mannequin muß ausgeruht auf den Laufsteg kommen...
    Aus dem alten Bauernschrank, den er sich von dem kleinen oberbayerischen Gut seiner Eltern
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