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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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Anerkennung. Alle anderen Partner und die angestellten Anwälte stimmten ein. In diesem Moment war ich erleichtert, ja, richtig stolz. Da hob der namensgebende Partner die Hand. Alle verstummten.
    »Eine Einschränkung habe ich«, sagte er ruhig. »Sie machen nur weiter, wenn das volle Honorar als Vorschuss bezahlt wird. Geben Sie Ihrem Mandanten dafür zehn Tage Zeit; die wird er brauchen.«
    Alle wussten, dass mein Mandant viele Ländereien besaß und genügend Geld hatte. Es ging also nicht darum, ob er die horrende Summe bezahlen konnte, sondern nur darum, ob er wollte. Im Gegensatz zu vielen Menschen, die sich eine gute anwaltliche Unterstützung nicht leisten und deshalb ihr Recht nicht geltend machen können und somit ihre Gerechtigkeit nicht bekommen, konnte mein Mandant, der sich großes Unrecht hatte zu Schulden kommen lassen, mit seinem vielen Geld eine erstklassige Verteidigung kaufen. In diesem Moment erkannte ich, dass die Gerechtigkeit dem schnöden Mammon gewichen war: Wer bezahlen kann, kann erstklassig verteidigt, ihm kann zu »seinem« Recht verholfen werden. Ich konnte mich nicht erinnern, so etwas auch im Studium gehört zu haben.
Dort hieß es im Gegenteil, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich seien. Dass diese Gleichheit nur für Menschen gilt, die Geld haben, während Menschen ohne Geld kaum Chancen auf Gerechtigkeit haben, davon habe ich im Studium nie gehört oder gelesen.
    Gerechtigkeit war in der Rechtspraxis also zu einer Frage des Geldes geworden. Anscheinend entscheidet allein das Honorar über das Mandat. Der alte Spruch »Judex non calculat« (Gerechtigkeit kann man nicht berechnen) bekam eine völlig neue Bedeutung. Offenbar war Gerechtigkeit sehr wohl berechenbar. Sie wurde vielmehr sogar käuflich. Aber war das nicht normal? Ich tröstete mich damit, dass wohl heute alles käuflich sei. Dabei bemerkte ich nicht, dass ich meine Werte, namentlich die Gerechtigkeit, schon wieder verraten hatte. Der Gerechtigkeit wollte ich dienen, dem Geld war ich nun ergeben. Und ist Geld nicht auch in vielen anderen Bereichen die Größe, die über alles entscheidet? Geld gebiert und Geld vernichtet Existenzen. Auf Gerechtigkeit kommt es offensichtlich niemandem mehr an; den meisten geht es um Beträge, nicht um Werte. Arbeitsplätze, Mieten, Privatschulen - alles eine Frage des Geldes, oder besser: des richtigen Betrags. Mit diesen Gedanken verdrängte ich mein Ideal der Gerechtigkeit, oder besser: Ich verkaufte es.

    Nachdem die Besprechung beendet war, ging ich in mein Büro und formulierte die Haftbeschwerde. Noch am gleichen Tag ging der Schriftsatz bei Gericht ein. Der Termin zur Anhörung wurde auf den übernächsten Tag festgelegt.
    Den Rest des Tages widmete ich mich meinen anderen Fällen, die auf dem Schreibtisch schon auf mich warteten. Wie jeden Tag ging ich spätabends nach Hause, und nach außen schien es ein Arbeitstag wie jeder andere gewesen zu sein.

6
    Der nächste Tag begann wie üblich. Ich saß um 8 Uhr an meinem Schreibtisch und bearbeitete die Akten von verschiedenen Fällen. In Gedanken war ich jedoch bereits bei der Haftprüfung, die am folgenden Tag stattfinden sollte. Ich war fest entschlossen, meinen Mandanten aus der Haft zu holen. Diesen Erfolg wollte ich mir unbedingt ans Revers heften, an Gerechtigkeit verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Mein Mandant würde dann seine Honorarrechnung bezahlen, und dieser Umsatz wäre das beste Argument auf dem Weg, Partner zu werden.
    Schließlich machte ich mich an die Vorbereitung der Haftprüfung. Als meine Strategie stand, wollte ich meine Argumentationen mit einem Kollegen durchsprechen, um auf Nummer sicher zu gehen. Ich ging zum erfahrensten Strafrechtler der Kanzlei. Er war 60 Jahre alt und Kettenraucher. Jeden Tag rauchte er vier bis fünf Schachteln Zigaretten, und seinem Zigarettenkonsum entsprechend war die Luft in seinem Büro. Dicke Rauchschwaden waberten durch den Raum und auf den Büchern hatten sich Nikotinreste abgelagert. Sein Zimmer zu betreten kostete also Überwindung, doch er war ein brillanter Strafrechtler. Außerdem war er so etwas wie mein Lehrer geworden, weil er mir in der ersten Zeit alle Fragen geduldig beantwortet und immer ein offenes Ohr für mich gehabt hatte. Und er hatte ein großes Herz.
    Als ich das Büro betrat, saß er wie üblich in einem dunklen, ein bisschen zu großen Anzug an seinem Schreibtisch und diktierte einen Schriftsatz. Der Aschenbecher war randvoll, in seiner Hand
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