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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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wollte nur raus, einfach weg und den ganzen Schlamassel vergessen. Aber ich riss mich zusammen. »Wenn Sie so was noch einmal sagen, dann können Sie sich einen neuen Anwalt suchen. Ist das klar?«
    Er nickte ruhig und ernst.
    »Erzählen Sie weiter«, herrschte ich ihn an, »sonst werden wir hier nie fertig. Ich muss ja auch noch eine mündliche Haftprüfung beantragen, sonst kommen Sie hier ja nie raus.«

    Nun erzählte mein Mandant die schrecklichen Details seiner Taten, wobei er dabei blieb, dass es viel weniger Opfer seien, als man ihm vorwerfen würde. Obwohl ich ihm nicht glaubte, ließ ich ihn gewähren, um seinen Redefluss nicht zu unterbrechen. Und so beschrieb er all die unfassbaren Details, aber nur für die Delikte, für die er sich offensichtlich verantworten wollte. Alle anderen Vorwürfe stritt er ab. Erstaunlich war dabei die Art, wie er erzählte. Seine Berichte waren frei von jeder Gefühlsregung. Sie klangen wie die Erzählung eines Dritten, der in aller Sachlichkeit einen Bericht für eine Gerichtsakte formuliert. Keine Emotionen, kein Bedauern oder gar Reue, aber auch keine Rechtfertigung. Man konnte aus seinen Erzählungen nicht heraushören, warum er diese Taten vollbracht und welche Empfindungen er selbst dabei gehabt hatte. Mir war das in diesem Augenblick recht; ich wollte das nicht hören und war bemüht, zu diesen schrecklichen Taten wenigstens ein bisschen innerliche Distanz zu halten, um das alles ertragen zu können.
    Das Gespräch endete damit, dass ich ihn eine Honorarvereinbarung unterschreiben ließ. Ein Vordruck, bei dem nur noch
Name, Delikt und Honorarsumme eingetragen werden mussten. Ich forderte ein exorbitant hohes Honorar. Er akzeptierte den Betrag ohne zu zögern.
    Ich rief den Wachmann, durchquerte die Schleuse zurück in Richtung Freiheit und fuhr zurück in die Kanzlei. Dort musste ich den Antrag auf eine mündliche Haftprüfung vorbereiten, um vor einem Richter zu begründen, warum mein Mandant aus der Untersuchungshaft entlassen werden sollte. Ich war fest entschlossen, das auch wirklich zu erreichen.

5
    In der Kanzlei wurde ich schon von allen erwartet, den Partnern und den angestellten Anwälten. Angestellter Anwalt in einer Kanzlei - das klingt gut, aber in Wirklichkeit ist es eine stark beschönigende Bezeichnung eines Abhängigkeitsverhältnisses. Nicht umsonst kursiert in Anwaltskanzleien ein Witz, bei dem gefragt wird, warum ein angestellter Anwalt im Grunde unkündbar sei: Sklaven, so die Pointe dieses Witzes, würden verkauft, nicht gekündigt. Immer, wenn ein Partner einem neuen Anwalt diesen Witz erzählte, lachten alle pflichtschuldigst mit, obwohl sie den Witz schon dutzende Male gehört hatten.
    Neben den Partnern wartete also eine Menge dieser »Sklaven« gespannt auf meinen Bericht. Als Letzter kam der namensgebende Partner, also der Anwalt, nach dem die ganze Kanzlei benannt ist, in den Besprechungsraum, in dem sich alle versammelt hatten. Ein namensgebender Partner ist in einer Kanzlei eine Art Halbgott, der über allem und allen steht. Und das unabhängig von seinen tatsächlichen Leistungen für die Kanzlei. Dieser namensgebende Partner aber war auch ein erstklassiger Anwalt, der dank seines wachen Verstandes Sachverhalte schneller und präziser einschätzen konnte als die übrigen Anwälte der Kanzlei. Er war das »Leittier« der Kanzlei. Was er sagte, galt intern mehr als jedes Gesetz.
    Schlagartig verstummten die Gespräche.
    Der namensgebende Partner setzte sich, nippte an seinem Kaffee und richtete den Blick auf mich. »Nun, Herr Kollege, bitte erzählen Sie von Ihrem heutigen Mandat. Wir sind alle sehr gespannt.«
    Ich erhob mich von meinem Platz und fasste alles in wenigen Sätzen zusammen. Am Ende erwähnte ich noch die Honorarvereinbarung.
Alle warteten, bis der namensgebende Partner etwas sagte, doch der blieb stumm. Er schien sichtlich getroffen von den geschilderten Straftaten. Ein anderer Partner der Kanzlei äußerte wegen der Schwere der Straftaten meines Mandanten seine Bedenken. Ich rechnete fest mit einer Moralpredigt und stellte mich innerlich darauf ein, dass mein Mandat und dessen Fortführung nun zur Diskussion gestellt würden. Doch der Partneranwalt fuhr fort. Er stellte das Honorar in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und schloss mit den Worten, dass das äußerst hohe Honorar eine gerechte Belohnung für den anstrengenden Fall sei. Danach klopfte er mit den Knöcheln auf die Tischplatte als Zeichen des Applauses und der
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