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Anklage

Anklage

Titel: Anklage
Autoren: Markus Schollmeyer
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Anwalt zu seinem Mandanten. Ich gab dem Beamten den Papierkram zurück, der notwendig ist, wenn man einen inhaftierten Mandanten besucht. Wesentlichster Bestandteil dieser Unterlagen war die Besucherliste. In diese Liste hatte ich mich groß und deutlich eingetragen. Ich wollte, dass die Menschen wissen, wer diesen Mandanten vertritt. Ich wollte mit diesem Fall meinen Anwaltsstern aufgehen lassen.
    Wortlos zeigte der Polizist auf eine gesicherte und mehrfach verschlossene weiße Stahltür. Vor dieser Stahltür war ein Klingelknopf angebracht. »Zellenaufsicht« stand darunter. Ich ging mit schnellen Schritten zu dieser Tür und drückte den Klingelknopf, worauf ein Summen ertönte und ich die Tür öffnen konnte.
    Hinter der Tür war ein kleiner Raum, an dessen Ende sich wiederum eine weiße, mehrfach gesicherte und verschlossene
Stahltür befand. Einen Klingelknopf gab es an dieser Tür nicht. Ich drehte mich kurz um, als die Stahltür, durch die ich den Raum betreten hatte, mit einem satten Geräusch ins Schloss fiel. Hier gab es nun keine Klingel mehr. Ich war eingesperrt. »Man kommt hier nur raus, wenn einen die Staatsmacht auch lässt«, dachte ich und erinnerte mich an eine Vorlesung, in der Anwälte als Kämpfer für Bürgerrechte heroisiert wurden. »Niemand sollte unberechtigt eingesperrt werden, dafür haben Anwälte zu sorgen«, donnerte der Professor immer.
    In diesem Augenblick konnte ich diese Macht, die von verschlossenen Türen und starken Mauern ausging, zum ersten Mal spüren. Freiheit ist unbezahlbar! Leider ist uns das viel zu wenig bewusst. Vielleicht muss man erst genommen bekommen, was man braucht, bevor man merkt, wie wichtig es ist. Ich konnte nun wenigstens erahnen, was es heißt seine Freiheit zu verlieren.
    Insoweit war ich sehr froh, dass es in unserem Rechtssystem einen Haftrichter gibt, dessen Aufgabe darin besteht, über die Anordnung der sogenannten Untersuchungshaft zu entscheiden. Eine Instanz also, die Willkür und Machtmissbrauch verhindern soll. Ich hatte zwar in meinem bisherigen Anwaltsleben noch keinen Haftrichter zu Gesicht bekommen, dazu waren die bisherigen Fälle nicht groß genug. Aber ich war mir sicher, dass ich es mit ihm aufnehmen konnte und das natürlich auch in diesem Fall machen würde.
    Ich verlor mich in diesen Gedanken, bis meine Aufmerksamkeit wieder zu dem Raum zurückkehrte, indem ich mich gerade befand. Es war eine Art Schleuse, ein Raum der totalen Kontrolle. In der oberen Ecke gegenüber dem Eingang hing eine Videokamera. Sie filmte jeden Winkel und gab den Wachbeamten, die in einem anderen Raum saßen, die Möglichkeit, am Monitor zu sehen was in dieser Schleuse passierte und ob sie die Tür auch tatsächlich öffnen sollten. Nur wenn die
Wachbeamten den ferngesteuerten Öffner betätigten, konnte man aus diesem Raum entkommen. Die damit verbundene momentane Ohnmacht in meiner persönlichen Bewegungsfreiheit ließ mich erschaudern.
    Diese Situation wirkte aber nur so lange bedrohlich, bis das laute Brummen des elektrischen Türöffners anzeigte, dass die gegenüberliegende Stahltür am Auslass geöffnet werden konnte. Sofort griff ich nach dem Türknauf und verließ die Schleuse. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, dass ich damit zugleich einen Schritt in ein anderes Leben machte. Es würde nichts mehr so sein wie früher.

4
    Auf dem Weg zu meinem Mandanten nahm mich jetzt ein uniformierter Polizist in Empfang. Er war groß und hatte resolute Gesichtszüge. Mit diesem Wachmann war nicht zu spaßen; seine Statur und seine Ausstrahlung verrieten sofort, dass er genau wusste, wie er Menschen zur Räson bringen konnte. Ich folgte ihm zur Zelle meines Mandanten.
    Und da war sie. Die Zelle, in der das Monster saß. Einen kurzen Augenblick erfasste mich Unbehagen, denn in wenigen Sekunden würde ich hineingehen und dem leibhaftigen Monster gegenübersitzen. Alles, was ich von ihm aus der Presse wusste, ließ ihn überaus gefährlich erscheinen. Doch dann meldete sich mein Stolz zu Wort, der mir sagte, dass ich schließlich sein Anwalt sei. Und das sei ja schließlich eine echte Auszeichnung. Dieser Gedanke siegte über meine Zweifel und meine Unsicherheit.
    Die Tür zur Zelle wurde geöffnet und ich trat ohne zu zögern ein. In der rechten Hand hatte ich meine Aktentasche, in der linken einen Klappstuhl. Den hatte mir der Wachbeamte mitgegeben, falls ich mich beim Gespräch setzen wollte. Das fand ich seltsam. Vielleicht hatten sich andere Anwälte
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