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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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ganz schön hinter dir her. Ihm fallen jedes Mal fast die Augen aus dem Kopf, wenn er dich sieht.«
    Amali errötete wieder. »Ja?« Sie gab sich uninteressiert. »Mag sein. Ich habe nicht darauf geachtet.«
    Ida grinste und hob spöttisch die Brauen. Aber ihr spitzer Kommentar blieb der Älteren erspart, denn mit einem erschreckten Grunzen erwachte nun ihr Bruder aus seinem Schlummer. Er rieb sich die Augen und reckte sich ächzend. Dann hob er das Buch auf, das von seiner Brust gerutscht war, und klappte es energisch zu. »Ich muss zum Unterricht, ich bin sicher schon wieder zu spät dran«, schimpfte er. »Warum habt ihr mich nicht geweckt?«
    Die beiden Mädchen störten sich nicht an seinem Unmut. Sie sahen ihm nach, wie er über die Wiese rannte, und ließen sich dann wieder ins Gras sinken. »Tante Ysabet sucht uns bestimmt auch schon«, murmelte Amali schläfrig. »Sollten wir nicht ebenfalls zurückgehen?«
    Ida brummte nur: »Sie schimpft ohnedies. Also können wir auch genauso gut noch hier bleiben«, und schloss die Augen.

    Simon, der Lord-Kämpe von Sendra, absolvierte trotz der spätsommerlichen Schwüle sein Kampftraining auf dem sonnenglühenden Hof. Das Wasser lief ihm in Strömen über das Gesicht und die nur mit einem ärmellosen Leinenkoller bekleideten Schultern. Er beendete eine Übungsfolge und verschnaufte einen Moment im Schatten der Buche.
    »Warum tust du das eigentlich, Simon?«, fragte Ida, die im Schatten unter dem Baum hockte und ihm interessiert zugesehen hatte. »Ich verstehe, dass Albi regelmäßig seine Übungen machen muss, damit er sich nicht irgendwann im Kampf den eigenen Fuß abhackt. Aber du bist doch kein Lehrling mehr.«
    Simon wischte sich den Schweiß von Gesicht und Armen. Er ließ sich neben Ida ins Gras fallen und langte nach dem Krug mit kühlem Wasser, der neben ihren langen Beinen stand. »Ich bin ein Ritter des Ordens vom Herzen der Welt«, sagte er seltsam steif. »Unser Kodex schreibt uns vor, unseren Körper und unseren Geist geschmeidig zu halten und regelmäßig die Übungen zu absolvieren, die unser Hochmeister uns durchzuführen auferlegt hat.«
    Ida schüttelte ungeduldig den Kopf. »Du kümmerst dich doch sonst wenig um die Regeln.«
    Simons Augenbrauen schossen in die Höhe, und er sah das halbwüchsige Mädchen verdutzt an. »Wie meinst du das?«, fragte er vorsichtig und kratzte sich verlegen die breite Brust.
    »Du hast Albuin alles über den Kodex deines Ordens beigebracht, alles über Ehre und Keuschheit und Zucht und was sonst noch dazugehört, ein Ritter zu sein. Aber ich habe bisher nicht bemerkt, dass du selbst dich allzu streng daran hältst – finde ich auch ganz in Ordnung«, fügte sie schnell hinzu, als sie die sich verfinsternde Miene des jungen Mannes wahrnahm. »Ich glaube nicht, dass ein normaler Mensch das alles ständig einhalten kann, ehrlich.«
    Simon nahm einen großen Zug aus dem Wasserkrug, um seine Verlegenheit zu verbergen, und wischte sich dann mit einem angefeuchteten Tuch über den sonnenverbrannten Nacken. Ida entließ ihn nicht aus ihrem scharfen Blick. Ihre Augen waren im grüngesprenkelten Schatten der Buche von einem leuchtenden Goldton.
    »Du hast Recht«, gab er schließlich zu. Er verzog die Lippen. Ida betrachtete fasziniert und ein wenig erschrocken, wie diese Regung seines fein geschwungenen Mundes seinem asketischen Gesicht einen heftigen und zügellosen Ausdruck verlieh. »Das Training ist mir wichtig.« Sein Gesicht hatte sich wieder geglättet, und der unzufriedene, beinahe gierige Blick war verschwunden.
    Er sah sie mit einem Zwinkern an, und sie lächelte zurück. Simon lehnte sich an den glatten Baumstamm und faltete die großen Hände vor den Knien.
    »Siehst du, Prinzessin, ich bin nicht der Sohn eines Lords, so wie dein Bruder. Mein Vater war ein Schmied unten in Korlebek.« Er lächelte versonnen und blickte in die Baumkrone. »Er war ein guter Schmied, bestimmt der beste in der ganzen Gemeinde. Aber ich wollte immer etwas – nun ja – etwas mehr sein als ein Schmied oder ein Bauer oder ein Wirt. Ich habe schon als Junge davon geträumt, ein Ritter zu werden und tapfere, ruhmreiche Taten zu vollbringen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie stolz ich darauf war, als der Orden mich aufnahm und ausbildete.« Ida sah ihn reglos an. Er schien vergessen zu haben, dass sie ihm lauschte, und zu sich selbst zu sprechen. Sie wartete darauf, dass er fortfuhr, und als er es tat, wandte er sich wieder an sie. Er
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