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Anidas Prophezeiung

Anidas Prophezeiung

Titel: Anidas Prophezeiung
Autoren: Susanne Gerdom
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schüttelte das Haupt wie eine weise alte Frau und seufzte. Ihr spitzes Gesicht war gleichzeitig bekümmert und schadenfroh. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit dem Ritter zu, der sich seines durchgeschwitzten Wamses entledigt hatte und nun das kühle Wasser aus der Pumpe über seinen Kopf laufen ließ. Sie stützte das Kinn in die Fäuste, ihre Augen bekamen einen weichen Bernsteinschimmer, und das harte kleine Gesicht wurde sanft.
    Ein Klopfen riss sie aus ihren Träumen. Ihre Schwester Amali, die älteste der drei Geschwister, trat ins Zimmer. Sie sah Ida mit einer Mischung aus Mitleid und Missbilligung an und stellte ein zugedecktes Tablett auf den kleinen Tisch in der Ecke.
    »Tante Ysa meint, du wärest bestimmt hungrig.« Sie hockte sich auf ihr Bett. Ida blieb in ihrer Fensternische sitzen und sah sie reglos an. Amali zupfte irritiert ihr hübsches blaues Mieder zurecht und runzelte die weiße Stirn. »Was starrst du mich so an? Habe ich einen Fleck auf der Nase?«
    »Nein«, entgegnete Ida knurrig. »Du siehst so geleckt aus wie immer.« Sie sprang auf und deckte das Tablett ab. »Hm, Krapfen!« Sie leckte sich voller Vorfreude die Lippen und stopfte sich einen der kleinen Ballen ganz in den Mund.
    »Schling nicht so«, rügte Amali und ging zum Fenster, um hinauszusehen. Sie erblickte Simon, der sein nasses Haar ausschüttelte, und seufzte sehnsüchtig.
    »Vergiss es«, sagte Ida grob und biss in einen Apfel. »Du interessierst ihn nicht. Er turtelt im Moment mit der roten Maie.«
    Amali fuhr herum, blutrot im Gesicht. »Du vorlautes kleines Biest! Was bildest du dir eigentlich ein ...« Sie schnappte empört nach Luft. Ida betrachtete sie aus zusammengekniffenen Augen. »Was meinst du damit: er mit der roten Maie?«, siegte Amalis Neugier über ihre Empörung.
    Ida nickte befriedigt. Sie biss ein riesiges Stück von dem Apfel ab und stopfte sich so erfolgreich den Mund. Während sie gemächlich kaute, ergötzte sie sich an dem Anblick ihrer ungeduldig einer Antwort harrenden Schwester.
    »Nun sag schon«, drängte Amali. »Was hat Ritter Simon deiner Meinung nach mit unserer Küchenmagd zu schaffen?«
    Ida grinste und schluckte den letzten Bissen herunter. Bedauernd blickte sie auf den leeren Teller und pickte ein paar Krümel mit dem Zeigefinger auf. Amali vergaß, dass sie eine beinahe erwachsene Dame war, und schüttelte sie grob. »Jetzt spuck's schon aus«, fauchte sie. »Du kleine Giftkröte, wenn du meinst, du könntest mich hier so ...«
    »Amali«, rief die ungeduldige Stimme von Tante Ysabet nach ihr. »Was treibst du so lange? Lass deine Schwester bitte alleine, sie hat Stubenarrest!«
    »Warte nur!«, formten Amalis rosige Lippen drohend. Sie nahm das Tablett auf und stolzierte aus der Kammer.
    Ida grinste und drehte ihr eine lange Nase. »Doch poussiert er mit der roten Maie, bäh! Und du bist viel zu mager für seinen Geschmack!« Sie kehrte zu ihrem Platz am Fenster zurück, um auf den Hof hinunterzublicken, der bis auf ein paar leise glucksende Hühner, die vergnügt ein Staubbad nahmen, verlassen unter der nachmittäglichen Sonne lag.

    Das Leben auf dem großen Hof des Lords von Sendra ging seinen gemächlichen Gang. Aurika, die Mutter seiner drei Kinder, war vor acht Jahren an einem Lungenfieber gestorben. Seitdem sorgte die verwitwete Schwester des Lords für die Geschwister. Lady Aurika war eine der jüngeren Töchter des Hierarchen gewesen, aber dieser Umstand besagte nicht viel. Lord Joris war nur einer der vielen Lords, die einem der Tetrarchen des Reiches dienten, und damit nicht viel mehr als ein wohlhabender Gutsbesitzer mit einem unbedeutenden Adelstitel. Dass er sich den Luxus eines eigenen ritterlichen Lord-Kämpen des Ordens vom Herzen der Welt leistete, hatte am Hof des Roten Tetrarchen für einige Erheiterung und teilweise bösartigen Spott gesorgt. Aber stur, wie Joris war, scherte er sich nicht darum. Sein Sohn und Erbe sollte eine standesgemäße Erziehung bekommen und seine beiden Töchter einen möglichst hochgestellten Ehemann, das allein war ihm wichtig.

    Joris ächzte leise und suchte für seinen mächtigen Körper eine bequemere Sitzhaltung in dem geschnitzten Eichenstuhl. Heute war Gerichtstag, und der Lord von Sendra durfte sich damit beschäftigen, die Streitereien der ihm untergebenen Bauern und Handwerker zu schlichten, eine Aufgabe, die seinem ungeduldigen und aufbrausenden Temperament beinahe so zuwider war wie seiner jüngsten Tochter die Beschäftigung mit
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